Das Victor-Gollancz-Haus ist vielen alten Reinbekern besser bekannt unter dem Namen Villa Dobbertin. 1957 kaufte die Hansestadt Hamburg das Gebäude von Carl Dobbertin und setzte es als Seminarhaus für die Jugendarbeit ein. Den heutigen Namen erhielt das Haus einige Jahre später zur Erinnerung an den persönlichen Einsatz von Victor Gollancz nach Kriegsende gegen Hunger und Not, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Doch wer war Victor Gollancz eigentlich? Hans-Peter Bünger klärt auf:
Victor Gollancz war jüdischer Abstammung. Er wurde 1893 in London als Sohn eines aus Polen nach England eingewanderten Rabbiners geboren. Gollancz studierte in Oxford Theologie und schloss sich sehr früh der britischen Labour Party an. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat. 1927 gründete er einen Verlag, der sehr erfolgreich war und ihn später sehr reich machte. Zusammen mit dem sozialistischen Politiker John Strachey gründete er den ebenfalls erfolgreichen „Left Book Club“ der eine Plattform für sozialistische Autoren wurde. Äußerst wichtig war dieser Verlag jedoch für den Kampf gegen den Faschismus in Europa, vor dem Gollancz sehr früh und eindringlich warnte.
1942 gründete er mit anderen Linksintellektuellen das „Nationalkommitee zur Befreiung vom Naziterror“. Obwohl Gollancz Pazifist war, bejahte er den Kampf gegen Hitler.
Kaum schwiegen Anfang Mai 1945 die Waffen, als Gollancz mit Leidenschaft seine Stimme gegen die These von der Kollektivschuld der Deutschen an den furchtbaren Verbrechen des NS-Regimes erhob. Er rief seine Landsleute auf, den Deutschen mit Menschlichkeit zu begegnen und Ihnen bei ihrem Überlebenskampf beizustehen. Das Hilfswerk „Save Europe now“ geht auf seine Initiative zurück. Es wurden Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung und andere Hilfsmittel gesammelt und in die deutschen Notstandsgebiete gebracht.
Victor Gollancz bereiste im Herbst 1946 die britische Besatzungszone und sah, dass das ganze Volk hungerte und vor allem viele Kinder zum Skelett abgemagert waren. Viele Menschen waren von Hungerödemen gezeichnet. Gollancz war empört, vor allem auch wegen der Ignoranz der britischen Besatzungsbehörden und der Labour-Regierung in London. Mit Flugblättern alarmierte er die britische Öffentlichkeit und informierte sie über die verheerende Lage in Deutschland. Er erreichte damit nach und nach eine Verbesserung.
Die Haltung dieses Mannes und Menschenfreundes wird ganz besonders deutlich in der Antwort auf die Vorwürfe eines Kritikers, der ihn als zu sehr pro-deutsch einstufen wollte:
„Ich war niemals mehr pro-deutsch, als ich pro-jüdisch, pro-arabisch oder pro-sonstwas war. Ich hasse alles, was pro und anti ist. Ich bin nur eines: Ich bin pro-Menschheit.“
1960 erhielt Victor Gollancz in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seiner Dankesrede wies er darauf hin, dass Hitler die furchtbaren Verbrechen nicht nur an Juden, sondern auch an den Deutschen begangen habe, und knüpfte daran die Frage:
„Sollte man dieses Böse noch vermehren indem man es mit Bösem vergalt? Oder sollte man ihm begegnen, indem man jenes bisschen an Liebe, Güte und Verzeihen hervorholte, das in einem ist? Es gab nur eine Antwort.“
Die Informationen über Victor Gollancz sind dem Buch entnommen: Uwe Bahnsen/Kestin Stürmer: Die Stadt, die leben wollte. Hamburg und die Stunde Null. Convent-Verlag.