Warum der Krämer Heinrich Kröger, genannt Hein Grien, Freund und Feind der Kinder Reinbeks zugleich war und was es in seinem Laden zu kaufen gab, erzählt Otto-H. Harders:
„In dem Hause an der Ecke Schönningstedter Straße/Schützenstraße betrieben Heinrich und Birte Kröger einen Krämerladen. Der Beginn dürfte etwa bei 1900 gelegen haben und gegen Ende der 30er Jahre gaben sie ihr Geschäft an ein jüngeres Ehepaar ab. Der Krämerladen Kröger ist ein fester Bestandteil meiner Kindheitserinnerungen und aus den Erzählungen meines Vaters, der ebenfalls in Prahlsdorf aufwuchs, weiß ich, dass es in seiner Kinderzeit genauso war. Da meine Großeltern Stammkunden waren, ergab es sich fast von selbst, dass meine Eltern ebenfalls Stammkunden wurden, als sie 1929 ihren Haushalt gründeten.
Heinrich Kröger war einer der angesehensten Einwohner in der Handwerker- und Arbeitersiedlung Prahlsdorf, und wir Kinder waren angehalten, ihm mit dem gehörigen Respekt zu begegnen. Die Erwachsenen allerdings nannten ihn, wenn er nicht dabei war, wegen seines ständigen Bemühens um Freundlichkeit gegenüber jedermann manchmal auch ‘Hein Grien’.
Wenn es nur eine Kleinigkeit einzukaufen gab, wurde ich auch schon im vorschulpflichtigen Alter alleine mit dem Henkelkorb geschickt. Das Geld – meist war es abgezählt – wurde mir in Papier eingewickelt, um zu verhindern, dass ich es verlöre. Ein vergleichsweise wertvolles Portemonnaie vertraute man mir in diesem Alter noch nicht an.
Der Laden bestand aus einem Raum und der erschien mir riesengroß. Eine Tonbank – heute würde man Verkaufstresen sagen – teilte ihn der Länge nach. Auf der Tonbank standen eine Vitrine für Feinkost- und Wurstwaren, eine Neigungswaage und eine stattliche Anzahl von Glashäfen mit Bonbons, die jedes Kinderherz höher schlagen ließen.
Wenn Mutter mir 5 Pfennige Bringelohn zugestanden hatte, fühlte ich mich fast als Krösus angesichts der Auswahl, die sich mir bot. Die Neigungswaage erschien mir fast als technisches Wunderwerk. Herrn und Frau Kröger bewunderte ich wegen ihrer Rechenkunst, erst später habe ich festgestellt, dass auf der Rückseite der Waage nicht nur die Gewichtsskala sichtbar war, sondern auch mehrere Preisskalen.
Den Hintergrund des Verkaufsraumes nahm ein Regal mit vielen Schubladen ein. Gleich ob Salz oder Mehl, grüne Erbsen oder gelbe, Haferflocken oder Zucker: Jede Ware hatte ihren Platz und wurde im Beisein des Kunden in die Tüten gefüllt. Die Butter stand hinter dem Tresen in einem Holzfass. Auch sie wurde den Wünschen der Kunden entsprechend abgewogen und dann mit zwei angefeuchteten Holzkellen in die gewünschte Form gebracht. Zuckerrübensirup war ein oft verlangter Brotaufstrich. Krögers führten ihn in zwei Qualitäten: der helle sah fast wie Honig aus, und der dunkle war kräftiger im Geschmack. Der Sirup wurde in Blechkannen, die mehrere Liter fassten, vorrätig gehalten und von dort in die mitgebrachten Gläser der Kunden eingegossen. Logischerweise ließ sich nichts zurück gießen, und so kam es vor, dass Herr Kröger sich entschuldigte: „Is för twe Penn mehr worden“.
Selbstverständlich handelten Krögers nicht nur mit Lebensmitteln. Ob Wäschestärke oder Reisigbesen, Schulschreibhefte oder Wischtücher, jedes Ding hatte sein Behältnis. Lediglich wenn Petroleum oder Schmierseife gewünscht wurden, wurden sie aus einem rückwärtigen Raum geholt.
Auf der Kundenseite des Verkaufsraumes befand sich eine Nische und in die Nische war eine Bank eingebaut. Für uns Kinder war das ein sehr begehrter Platz. Von hier aus hatte man den Ausblick auf alle Köstlichkeiten und konnte in aller Ruhe seine Auswahl treffen.
Der enge Kontakt des Ehepaares Kröger mit den Eltern hatte manchmal auch seine Nachteile. Wenn Kinder Geld ausgeben wollten ohne Wissen und Erlaubnis der Eltern, mussten sie nicht selten Rede und Antwort stehen, oder beim nächsten Einkauf brachte Hein Grien das den Eltern gegenüber zur Sprache. In dieser Hinsicht schien er in die Seelen seiner zukünftigen Kunden hinein schauen zu können.
Wenn Kunden ihre Waren nicht bezahlen konnten, baten sie Hein Grien um Stundung. Meist siegte sein Mitleid, und er trug den geschuldeten Betrag in eine Schreibkladde ein. Die Kunden ließen ‘anschreiben’“.