Manfred Schuster verlebte seine Kindheit in Reinbek am Schmiedesberg – er kann viel darüber erzählen, aufgeschrieben hat er es in den 1990er Jahren.
„Actiones qui fieri solent. Soccessione temporum a memoria mortalium elabuntur, nisi scritto….
Handlungen die alltäglich geschehen, entfliehen mit dem Lauf der Zeit dem Gedächtnis der Menschen, wenn sie nicht aufgeschrieben werden…“
Herzog Adolf IV. von Schauenberg in einer Urkunde des Jahres 1229
Meine Kindheit am Schmiedesberg (3/8)
Schmiedesberg Nr. 4 war ein besonderes Haus, denn dort war unten ein Spielzeugladen, den ich sehr mochte, aber mangels Geldes selten betreten habe. An der Schaufensterscheibe habe ich mir so manches Mal die Nase plattgedrückt. Die Leute, die den Laden führten hießen Boolsen. Der Mann war ein großer, hagerer und knochiger Mann, die war Frau klein und rundlich. Sie hatten zwei Kinder, einen Jungen, der Ingo hieß, und ein Mädchen. Rechts neben dem Spielzeugladen befand sich vor dem Haus ein Schaukasten mit den Filmplakaten für die Filme, die gerade im Sachsenwaldtheater liefen. Während der Schulzeit übten diese Plakate einen besonderen Reiz auf mich aus, sie regten die Fantasie enorm an, und ich hätte so gerne einige von diesen Plakaten gehabt, nur so für mich. Ab dem 6. Lebensjahr ging ich auch fast regelmäßig sonntags ins Kino, in die Jugendvorstellung.
Jetzt bin ich schon unten am Schmiedesberg, hier war das Kaffeehaus Nagel. Es war ein großes Gebäude mit Bäckerei, Tanzsaal, einer Gaststätte und einem Bierkeller. Vor dem Gebäude war ein großer Kaffeegarten mit altem Baumbestand. Am Anfang des Schmiedesberges war das Eingangsportal zum Kaffeegarten, rechts und links waren zwei Pfeiler oben mit einer Lampe drauf. Es gab noch einen zweiten Eingang vom Schmiedesberg aus zu dem terrassenförmig abfallenden, stimmungsvollen und gemütlichen Kaffeegarten. Leider ist vom Kaffeehaus Nagel nichts mehr da, es steht dort jetzt ein dreizehngeschossiges Hochhaus und eingeschossige flache Läden.
Zu der Bäckerei führte parallel zum Gebäude und zum Schmiedesberg eine Rampe hoch. Ich habe bei Nagel öfters in der Bäckerei Brötchen gekauft. Ein Brötchen kostete 5 Pfennig und eine Schnecke 10 Pfennig. Es gab dort auch so flache Brötchen, die obenauf mit grobem Salz bestreut waren, das fest eingebacken war, das waren die Salzbacken. Ich glaube die kosteten 8 Pfennig, ich mochte sie sehr gerne. Von den Menschen, die dort wohnten, ist mir nur ein Junge im Gedächtnis, der etwas jünger war als ich und Onne hieß. Onne war recht dick, ich habe ihn aber nicht näher kennengelernt.
Gegenüber von Nagel, in der gleichen Richtung, war der Friseursalon von Bethause, aber dieses Gebäude gehörte nicht mehr zu Schmiedesberg. Wenn man den Schmiedesberg dort unten überquerte, stand man vor dem alten Haus von Mense, das in einem spitzen Winkel zwischen der Bergstraße und dem Schmiedesberg lag. Es war ein Wohn- und Geschäftshaus. Seit 1964 steht dort das Haus von Ellermann. In dem alten Gebäude war ein Kolonialwarenladen, und links daneben war ein Schuster, mit dem Namen Kühl. Ich kann mich aber an dieses alte Gebäude und die Leute kaum erinnern, da es auch ziemlich weit weg von unserer Wohnung lag. (Ich habe den Namen Mense aus dem Reinbek-Buch von Dirk Bavendamm übernommen). An die beiden großen Bäume vor dem Haus kann ich mich noch gut erinnern.
Geht man den Schmiedesberg auf der linken Seite weiter hoch, dann ist dort eine Gaststätte, in meiner Kindheit war hier ein Schuhgeschäft mit dem Namen Müncheberg. Dort hat meine Mutter mit mir öfter Schuhe für mich gekauft, es roch dort so gut nach Leder. In dem nächsten Haus Schmiedesberg Nr. 3 war damals eine Wäscherei. Der Mann, der die Wäsche ausfuhr, hatte schwarze, wellige Haare und sah aus wie ein Boxer. Der Lieferwagen der Wäscherei hatte immer eine oder mehrere Beulen und Schrammen. Der Wäscheausfahrer war immer in Eile. Ich habe ihn oft gesehen, wenn er mit seinen Wäschepaketen über die Straße lief; ich habe ihn nie stehen und reden sehen.
Nach der Wäscherei kam erstmal kein weiteres Haus, dort war eine ca.1,80 m hohe Mauer neben dem Bürgersteig. Die Mauer war verputzt und ohne Öffnung. Sie hatte rechteckige Felder die zwischen Mauerpfeilern lagen, oben auf war eine durchgehende Abdeckung. Als kleiner Junge war diese Mauer für mich unüberwindbar, ich konnte nicht durchsehen, und ich konnte nicht rüber sehen. Ich bin oft hochgesprungen, um rüber zu schauen, ich habe versucht, hinauf zu klettern, aber gelungen ist es mir erst als Jugendlicher.
Nach dieser Mauer kam das alte Haus von Ellermann, ich betone extra „altes“ Haus, denn jetzt steht dort ein Neubau. Siegfried Ellermann hatte dort so eine Art Haushaltswarengeschäft, man konnte dort Töpfe und Pfannen und allerlei Kleinkram kaufen. Frau Ellermann bediente mit im Laden. Es war nach heutigen Verhältnissen ein recht kleines Geschäft. Die Ellermanns hatten zwei Kinder, eine blonde Tochter, die aber einige Jahre älter war als ich, und einen Jungen, der nur geringfügig älter war als ich, Uli Ellermann. Mit Uli habe ich öfters gespielt, aber er war mir immer überlegen, er war auch eine Klasse vor mir in der Schule. Die Ellermanns waren ruhige und nette Leute. Links neben dem Laden ging eine Außentreppe hoch, zu einer Wohnung, dort wohnten auch Ellermanns, aber eine andere Familie.
Auf dem hinteren Grundstück befand sich eine Klempnerei. Die Werkstatt war in einem Nebengebäude untergebracht. Rechts neben dem Ellermann-Geschäft war ein Weg mit Feldsteinpflaster, auf dem man auf das hintere Grundstück kam, der Weg hatte eine Steigung. Ging man geradeaus, kam man zu Klempnerei, links wohnte Uli Ellermann, zum hinteren Hof ging links eine Treppe runter. In dem Gebäude lebte auch noch ein älterer Mann, der alte Ellermann. Er sah aus wie ein Bilderbuch-Opa, war meistens dunkel gekleidet, ging gebückt mit einem Stock, hatte kaum noch Haare, aber er hatte vorne am Kopf eine auffällige Beule. Da ich selber nie einen Großvater hatte, war er für mich das Sinnbild eines Opas. Ich habe ihn als Junge immer freundlich gegrüßt, und er hat immer freundlich zurück gegrüßt. Auf Uli Ellermann werde ich später noch ausführlicher eingehen, wir haben doch so einiges zusammen erlebt.
Schmiedesberg Nr. 9 ist die alte Henkerskate, die heute netter und freundlicher aussieht, nach der Renovierung, als damals. Das Gebäude ist ein alter Fachwerkbau, der etwas erhöht liegt. Zu meiner Kindheit war es ein altes, etwas düsteres Gebäude, das dicht mit Nadelbäumen umgeben war. Ich bin in diesen Nadelbäumen einige mal herumgekrabbelt, und habe mich über die harzigen Finger und die Kiefernnadeln, die mir in das Hemd gefallen waren, geärgert.