Manfred Schuster verlebte seine Kindheit in Reinbek am Schmiedesberg – er kann viel darüber erzählen, aufgeschrieben hat er es in den 1990er Jahren.
„Actiones qui fieri solent. Soccessione temporum a memoria mortalium elabuntur, nisi scritto….
Handlungen die alltäglich geschehen, entfliehen mit dem Lauf der Zeit dem Gedächtnis der Menschen, wenn sie nicht aufgeschrieben werden…“
Herzog Adolf IV. von Schauenberg in einer Urkunde des Jahres 1229
Meine Kindheit am Schmiedesberg (4/8)
Mit dem Haus Schmiedesberg Nr.11 verbindet mich kaum eine Erinnerung, aus meiner kindlichen Sicht, wohnten dort immer ältere Leute. Später, als das Haus Schmiedesberg Nr. 17 abgebrochen wurde, ca. 1958 oder 1959, zog Frau Lohse mit ihrem Tabakladen in dieses Gebäude. Ich war aber als größerer Junge recht selten in diesem Laden. In diesem Haus gab es zu meiner Zeit auch nie Kinder mit denen man spielen konnte, deshalb war das Haus für mich uninteressant.
Mit dem Gebäude Schmiedesberg Nr.13 verbinden sich eine Anzahl von Erinnerungen. Hier war ein Fischgeschäft, das von einer Frau Stut geführt wurde. In dem Fischladen war es immer ungemütlich, es war feucht und kalt. Meine Mutter hat dort immer Fisch gekauft, der dann von Frau Stut in Zeitungspapier eingewickelt wurde. Es gab dort einen kleinen Hund, es war ein Spitz, mit dem Namen Prinz, dieses war ein unangenehmes Tier. Dieser Köter war klein, hässlich und hinterlistig, er bellte so spitz und laut und biss von hinten in die Hacken. Wenn man sich aber umdrehte und ihn packen wollte, dann lief er weg. Als ich nachher größer war, habe ich ihm einen Tritt verpasst, und es hat mir hinterher nicht leidgetan. Ich bin eigentlich recht tierlieb und komme auch mit fast allen Hunden gut aus, aber dieser Prinz war ein Ekel.
Das Fischgeschäft wurde Ende der 1950er Jahre aufgegeben, und es kam der Gemüseladen von Schlünsen hinein. Von dieser Zeit werde ich später noch berichten, wo ich als Laufjunge Gemüse und Getränke ausgetragen und ausgefahren habe. Neben dem Fischgeschäft (später Schlünsen) befand sich, solange ich zurückdenken kann, ein Hutladen, der Hutladen besteht heute noch. Die Hüte haben mir nie sonderlich gefallen, ich meine sie sind nur für ältere Damen geeignet.
In dem Gebäude befanden sich auch mehrere Wohnungen, in einer wohnte Familie Stut, in der unteren Wohnung später Familie Langmann. Mit dem Sohn Michael bin ich die letzten Jahre zusammen zur Volksschule gegangen, wir waren in einer Klasse und locker befreundet. Wir haben Anfang der 1960er Jahre auch einiges zusammen angestellt. Später habe ich gehört, dass er Selbstmord begangen hat. Die Eltern waren starke Raucher, sein Vater hatte eine Kriegsverletzung am Kopf. Dann war da noch eine kleinere Schwester, ich glaube sie hieß Silke.
Bei den Langmanns hielt sich tagsüber immer Ernst Neugebauer auf. Ernst Neugebauer war Frührentner oder Kriegsinvalide, er hatte eine Art Klumpfuß und ging mit Stock. Das eine Bein hatte eine Schiene, die beim Gehen immer leicht klackte. Wenn es dunkel war und man nichts sehen konnte, konnte man Ernst aber schon kommen hören. Olaf Schlünsen und ich haben ihm manchmal aufgelauert, und ihn erschreckt, wenn er um die Ecke kam. Er hat auch jedes Mal einen fürchterlichen Schreck bekommen und uns ganz aufgeregt erklärt, dass man davon ein Herzschlag bekommen kann. Ernst war ein harmloser Mitbürger, er spielte auch Geige und hatte damals eine Schlafstelle in der Schützenstraße, bei einer Frau die ihn nicht leiden konnte; deshalb war er die meiste Zeit bei Langmanns.
Ich muss in diesem Zusammenhang noch eine Person erwähnen, eine alte Frau, die eigentlich in ganz Reinbek anzutreffen war; das war Frau Schomann. Sie war Putzfrau und machte das Fischgeschäft sauber. Sie war recht alt, ging krumm, hatte immer schwarze Kleidung an, war ausgesprochen freundlich zu Kindern, und sie erzählte gern. Beim Erzählen, was man auch Tratschen nennen kann, hatte sie eine großartige Mimik, dabei wischte und tupfte sie ständig mit einem Taschentuch die Augen.
Die zwei Wohnblöcke, Schmiedesberg 15 und 15a wurden ca.1954 gebaut und fertiggestellt. Ich kann mich noch recht gut daran erinnern, wie ich mit Olaf Schlünsen auf dem noch unbebauten Grundstück gespielt habe. Zum Schmiedesberg hin war das Gelände durch eine wilde Hecke oder Büsche begrenzt. Ich meine, das, was heute Schmiedesberg 15, 15a und 17 ist, war damals, in meiner frühen Jugend ein Grundstück, die Trennung erfolgte erst mit dem Bau der Wohnblöcke, und mit der Öffnung der Kohlen- und Futtermittelhandlung Elsholz zum Schmiedesberg. Das alte Grundstück war für mich riesig groß, an der linken und hinteren Seite fiel das Gelände ab, es gab dort Abhänge, die mit Büschen bewachsen waren.
An der hinteren Grundstücksfront war ein massives Schuppengebäude mit mehreren Einzelschuppen. Das Gebäude stand ungefähr da, wo später das Kohlenlager von Elsholz gebaut wurde. Schlünsens hatten dort auch einen Schuppen und hielten zwischen dem Gerümpel ein Huhn, das war das Schlünsenhuhn. In dem linken Wohnblock wohnte in einer oberen Wohnung die Familie Wemper. Fritz Wemper war der Inhaber des Sachsenwaldtheaters, wo ich sonntags immer ins Kino ging. Zu dem Ehepaar Wemper gehörten drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge. Das jüngste Mädchen hieß Alrun und der Junge Tim, Alrun war ca. 3 Jahre jünger und Tim ca.1 Jahr älter als ich.
In dem rechten Wohnblock wohnte unter Anderen ein älterer Junge mit Namen Christoph, er lebte mit seiner Mutter zusammen. Ich kenne ihn nur als Student und dadurch, weil er einige Jahre lang seinen Motorroller auf dem Hof von Schlünsen abstellte. Von all den anderen Leuten, die in den zwei Blöcken wohnten, habe ich kaum etwas in Erinnerung behalten.
Jetzt bin ich mit meiner Beschreibung so weit, dass ich mich wieder auf der Höhe von Schmiedesberg 16 befinde (nur auf der anderen Straßenseite). Hier befindet sich noch heute die Zufahrt zu dem Hof von Elsholz, die durch ein Tor mit zwei Pfeilern zum Schmiedesberg hin abschließt. Das Geschäftshaus und die Hauptzufahrt von Elsholz befinden sich in der Straße Am Rosenplatz.
Elsholz war, bzw. ist auch heute noch, eine Handlung für Tierfuttermittel, Dünger und Kohlen. Mit Inge Elsholz wurde ich zusammen eingeschult, und wir waren die ersten vier Schuljahre in einer Klasse. Der Speicher für Dünger und Futtermittel lag Am Rosenplatz und hatte oben unter einem kleinen Erker einen vorstehenden Flaschenzug, mit dem die Säcke hochgezogen wurden. Elsholz war nur Inhaber, der Betrieb lief unter dem Namen Carl Albertz.
Das Kohlenlager war zum Schmiedesberg ausgerichtet, aber von beiden Seiten anfahrbar. Als das Kohlenlager gebaut wurde, war ich ungefähr sechs Jahre alt. Es bestand eigentlich nur aus einer Rückwand und mehreren Querwänden und einem Dach. Zwischen den Querwänden lagen die einzelnen Kohlensorten: Brikett, Eierkohlen, Koks usw. Auf dem Dach war eine Werbung in Leuchtbuchstaben. Beim Bau des Kohlenlagers sind Olaf und ich, nachdem die Handwerker Feierabend gemacht hatten, auf dem Gerüst herumgekrabbelt; Olaf hat mit einem Rest der Maurermischung ein Brikett vermauert. Ich habe mit Olaf oft auf diesem Kohlenlager herumgetobt, manchmal wurden wir auch weggejagt, besonders von Herrn Görtz. Herr Görtz hatte kein Nasenbein mehr und daher eine platte Nase, wir nannten ihn Görseflutsch.
Einige der Arbeiter auf dem Kohlenhof waren nett, ich denke da an Gottlieb König und Horst Radtke, die stundenlang Kohlen wiegen und einsacken mussten. Manchmal haben Olaf und ich sie auch geärgert. Zwischen dem Kohlenhof und dem Grundstück mit dem Gemüseladen Schlünsen war später ein zwei Meter hoher Zaun aus Hühnerdraht, man konnte sich so bequem dagegen legen, und dem entsprechend ausgebeult sah der Zaun auch aus. In den frühen Jahren gab es diesen Zaun noch nicht.