Fertigprodukte waren noch selten, Handarbeiten gefragt. Wie aus ferner Vergangenheit wirken die Schneiderinnen, Schneider und Modistinnen Reinbeks. Ursula Dietrichs und Eckart Bünning erzählen ihre Geschichte:
Das Reinbeker Adressbuch verzeichnete im Jahre 1880 vier und im Jahre 1896 sogar sechs Schneidermeister, darunter drei Frauen. Ein Zeichen dafür, dass sowohl in den höheren Gesellschaftsschichten als auch in bürgerlichen Familien die Kleidung maßgefertigt wurde, vor allem der Sonntags- und Festtagsstaat. Die Ehefrauen der Handwerker trugen Blusen, lange Röcke und darüber reichverzierte weiße Schürzen oder Arbeitsschürzen aus grobem, strapazierfähigem Stoff. Die Männer bevorzugten neben ihrer Berufskleidung Anzüge mit Westen und beim Ausgehen Hut, Spazierstock, Einstecktuch und Taschenuhr mit sichtbarer goldener Kette.
Auch die Kinder wurden am Sonntag fein herausgeputzt wie die Erwachsenen. Im Alltag trugen die Mädchen Schürzen, aber sonntags kamen Matrosenkleidung, Russenkittel, gesmokte, gerüschte Kleider mit Schleifen, Bändern, Zierknöpfen, Täschchen und Hüte zum Vorschein, dem damaligen Zeitgeist und -geschmack entsprechend und konträr zur heutigen bequemen Freizeitmode.
Beliebt in den kinderreichen Familien waren die Hausschneiderinnen, die regelmäßig anfallende Näh- und Flickarbeiten im Hause verrichteten. Kinderbekleidung wurde an jüngere Geschwister weitervererbt, geändert und modisch auffrisiert. Oberhemden für Herren bekamen neue Kragen und Manschetten, Mäntel und Jacken wurden kostengünstig gewendet, denn Textilien waren verhältnismäßig teuer für die einfache Bevölkerung.
Eine besondere Bedeutung kam in Reinbek den Hutmacherinnen und Modistinnen zu, die für die richtige Kopfbedeckung und modische Accessoires sorgten. Auf älteren Fotos fallen die kunstvollen Hutkreationen der Damengesellschaft auf, reich verziert mit Federn, Schleifen, Kunstblumen und Schleiern. Bei Vereinsfeiern, Sonntagsausflügen und Familienfesten trug alt und jung, männlich oder weiblich, „große Garderobe“, nur übertroffen von den Ballroben, Gehröcken und Fächern der wohlhabenden Kaufmannsfamilien in den Villengebieten Reinbeks.
Ida Schwerdtfeger, die Schwester von Hans Rathmann, fertigte in der Bahnhofstraße modische Kreationen für die Reinbeker Damen. Sie versorgte ihre Neffen und deren Freunde mit Requisiten und Materialien für die Kostümierungen bei zirkusreifen Kinderspielen im Hinterhof. „In der Putzstube fertigten fleißige Näherinnen Prachtstücke“, erzählt ihr Neffe, Herbert Rathmann, in seinen Jugenderinnerungen.
Anfang des 20. Jahrhunderts machten die ersten Modegeschäfte auf. Bereits um 1880 gab es den Kaufmann und Manufakturisten Cohen, auch Cohn, in Reinbek, der später eine Manufaktur- und Modewarenhandlung betrieb , die sich am Schmiedesberg 4 befand .
Die alteingesessene Schneiderfamilie Hastedt hatte ab 1896 ein Tuchlager in Reinbek. Das Schneideratelier war zunächst Kurze Straße 4 (etwa Am Rosenplatz 4), später Hamburger Straße 3. Herrenschneider Henry Hastedt fertigte in der Bahnhofstraße 5 für die Soldaten der Wentorfer und Glinder Garnison Uniformen an und Frau Hastedt hatte ihre Damenschneiderei in der Straße An der Wildkoppel 3. Eine andere Damenschneiderin und Modistin in Reinbek war Dora Westphal in der Hamburger Straße 12.
Hans Niemann eröffnete 1927 ein Spezialgeschäft für Herrenkleidung am Schmiedesberg 16 und zog 1933 in das neu erbaute Geschäft in der Bahnhofstraße um, wo es bis in die 80er Jahre als Fachgeschäft für Damen- und Herrenbekleidung und Wäsche von seinem Sohn betrieben wurde.
In der Schönningstedter Straße 4 befand sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Manufaktur- und Modewarenwarenhandlung Blohm. Ein Foto zeigt eine feierliche Gesellschaft, wohl zur Eröffnung des Ladens. Sein Hauptgeschäft mit Damen- und Herrenoberbekleidung, Berufskleidung, Unterwäsche, Wolle und Kurzwaren befand sich einige Häuser weiter am Schmiedesberg 18. Nicht nur eine Generation alteingesessener Reinbeker fand hier alles was gebraucht wurde, manchmal sogar Bekleidungsstücke, die man in Bergedorf oder Hamburg vergeblich gesucht hatte.
In der Schönningstedter Straße lagen auch die Werkstätten der Schneiderin Ida Graveley (Nr. 26) und des Schneidermeisters Bockwoldt (Nr.32, später im Neubau Nr. 34).
Nach dem Bau der Sachsenwaldarkaden gab es dort die „Ceka-Moden“ von Jeanine Becker. Im gleichen Haus hatte Frau Kropp ein Geschäft für Modekleidung, das später von Spieker übernommen und um Handarbeitszubehör erweitert wurde.
Andere Modegeschäfte, Boutiquen, Spezialgeschäfte, Hutsalons wurden im Laufe der Jahrzehnte in verschiedenen Reinbeker Stadtteilen gegründet, vor allem in den Neubaugebieten „Auf dem Großen Ruhm“, „Klosterbergen“ und im „Klostermarkt“. Sie hielten sich oft nur wenige Jahre und wechselten häufiger die Besitzer. Denn mit den veränderten Kundenwünschen und Ansprüchen an Markenartikel und gängige, tragbare Konfektionsware wanderte die Kundschaft zu benachbarten Bergedorfer oder Hamburger Kaufhäusern und Einkaufszentren ab. Der Versandhandel nahm an Bedeutung zu, Secondhandshops wurden modern und Änderungsdienste traten an die Stelle von Maßschneidereien.