Traditionell galt der Mann als Vorsteher des Haushalts und Verrichter harter, körperlicher Arbeit – aber mindestens genauso bedeutend war das, was Frauen (oft zusammen mit ihren Kindern und Nachbarinnen) leisteten. Gudrun Schmidt erzählt:
„Wenn man bedenkt, dass auch noch die Kleidung häufig selbst genäht, gestrickt, gehäkelt wurde, das ‘Großreinemachen’ sehr ernst zu nehmen war – so schleppte meine Mutter die Matratzen aller Betten mindestens einmal im Sommer in den Garten, um sie gründlich zu lüften, die Teppiche und Läufer wurden über der Teppichstange ausgeklopft, der Fußboden wurde gebohnert und nachgewienert – nein, leicht hatten es diese ‘Nur-Hausfrauen’ damals gewiss nicht. Trotzdem erinnere ich mich nicht, dass sich meine Mutter darüber je beklagt hätte. Größere Arbeiten, wie die ‘große Wäsche’, das Stollenbacken zu Weihnachten oder überhaupt Vorbereitungen zu Festlichkeiten wurden gemeinsam mit einer oder mehreren Schwestern erledigt, die ebenfalls in der Nähe wohnten und ihrerseits Hilfe erhielten, wenn das erforderlich war.
Wirklich schwer wurde es für meine Mutter erst, als sie nach dem Krieg darauf angewiesen war, arbeiten zu gehen, weil die Zahlungen für meinen Vater, der noch in Gefangenschaft war, eingestellt wurden. Und dazu kamen die zunehmende Lebensmittel- und Feuerungsknappheit. Jetzt wurde die Beschaffung von Nahrungsmitteln Schwerpunkt Nummer eins. Dazu gehörte vor allem im Spätsommer das Ährenlesen und im Herbst das Kartoffel- und Zuckerrübenstoppeln.
Letzteres war bei allen recht unbeliebt, wegen des häufig schlechten Wetters während der Zuckerrübenernte und dem Schmutz, der damit verbunden war. Auf den regennassen Feldern konnte dieses Stoppeln zu wahren Schlammschlachten ausarten. Man wusste manchmal kaum, ob man wirklich eine Rübe unter der Hacke hatte oder nur einen schmierigen Erdklumpen.
Trotzdem verzichtete kaum einer im Dorf auf diese Nachernte. Denn das hätte bedeutet, auch keinen Sirup zu bekommen und der war wegen der Zuckerknappheit hoch geschätzt, sowohl als Brotaufstrich als auch zum Süßen der Speisen. Ohne Sirup hätte es zum Beispiel keine Weihnachtsplätzchen gegeben. Und es war erstaunlich, was meine Mutter aus Mehl, Sirup, Ei und Wasser so zaubern konnte, sogar Pfefferkuchenhäuser. Also zogen auch wir immer wieder los.
Waren alle Felder abgeerntet, galt es, mit dem Besitzer einer Rübenpresse einen Termin zu vereinbaren. Solche Pressen waren eine große Arbeitserleichterung und deshalb sehr begehrt. Sie gingen meist von Haus zu Haus. Erst wenn man die Zusage erhalten hatte, konnte man beginnen, die Rüben vorzubereiten. Sie mussten vor allem erst einmal gründlich gesäubert, also mit Bürsten bearbeitet, und danach geschnetzelt werden.
Auch das war mühsam und eintönig. Aber meist setzten sich mehrere Frauen und Kinder zusammen ins Waschhaus, wo genügend Platz war, und später die Schnitzel im großen Waschkessel gekocht wurden. Gemeinsam ging die Arbeit rascher von der Hand. Das Kochen musste gut überwacht werden. Der Kessel durfte nicht zu voll sein, denn es bildete sich Schaum, der abgeschöpft werden musste. Wichtig war es überhaupt, die richtige Mischung aus Schnitzel und Wasser zu finden. Denn erst aus dem schließlich ausgepressten Saft wurde – auf dem Küchenherd – durch Eindampfen der eigentliche Sirup gekocht. Auch hier war wieder eine genaue Überwachung notwendig, um schließlich die richtige Konsistenz zu erhalten. Der Sirup durfte ja weder zu dick noch zu dünnflüssig sein – und anbrennen durfte die Masse schon gar nicht. Es war ein sehr zeitaufwendiges Verfahren nötig, bis schließlich der erste dunkle, möglichst dickflüssige Sirup auf unserem Quarkbrot landete. Mit welcher Begeisterung bissen wir, die ja die ganze Entstehung von Anfang an miterlebt hatten, da hinein! Dieses Gefühl kann auch heute noch die köstlichste, edelste, teuerste Speise bei mir nicht übertrumpfen.“