Was ist eigentlich ein Siedler, jene Gattung Mensch, die wir bereits als Löwenzahnsammler in fremden Gärten kennengelernt haben? Heidrun Tacke wagt eine Annäherung:
Natürlich gibt es nicht den typischen Siedler, doch es gibt Verhaltensweisen einiger (vieler), die deshalb typisch sind, weil sie wahrscheinlich noch aus der Zeit stammen, als die Kleinsiedlungen in Neuschönningstedt entstanden sind. Die Flüchtlinge aus dem Osten hatten fast nichts und haben sich mit viel Arbeit und viel Entbehrungen ein Haus gebaut und sich vom Garten und dem Schwein im Stall und dem Federvieh selbst ernährt. Es wurde nichts weggeworfen, alles konnte irgendwann einmal wieder gebraucht werden. Man sagt, Not macht erfinderisch, und so wurden aus alten Dingen neue Gebrauchsgegenstände gefertigt. Auf jeden Fall wurde nichts weggeworfen. Man könnte es ja noch mal brauchen!
Heute lebt meistens schon die 2. und 3. Generation in den Häusern, siedlertypisches hat sich offensichtlich aber vererbt. Insbesondere bei den Männern ist dieses Siedlerverhalten nach wie vor festzustellen, obwohl die große Not nun glücklicherweise schon lange überstanden ist. Keller- und Bodenräume sind deshalb für Siedler ebenso wichtig wie Schuppen und Unterstände, sind es doch Orte, an denen man vielerlei Dinge aufbewahren kann.
Beispiel Sperrmüll: Die Frau des Hauses ist glücklich, ganz viele alte Sachen aussortiert und zum Sperrmüll an die Straße gestellt zu haben – endlich mal etwas Platz in Keller und Schuppen! Den Mann hat sie lieber gar nicht mit den Aufräumarbeiten belästigt. ‘Was weg ist, ist eben weg!’, hat sie gedacht. Am nächsten Tag geht die Frau in den Schuppen und denkt, sie traut ihren Augen nicht, steht doch alles wieder an dem alten Ort, was gestern Abend noch an der Straße stand. Und was ist denn das? Etwas neues Altes! Auch ihr Ehemann hat natürlich mitbekommen, dass Sperrmüll ist und ist am Abend noch mal zum Luftschnappen rausgegangen, denn er kennt doch seine Frau, die immer diese doch irgendwie, irgendwann vielleicht noch mal nützlichen Dinge einfach an die Straße stellt! Typisch Siedler!
Wir sind Hinzugezogene, also keine typischen Siedler, oder doch? Beim Umbau des alten Siedlerhauses fiel bei uns so allerlei an. Holz konnte natürlich gut wiederverwendet werden, z.B. für den Hühnerstall. Und auch ein Unterstand musste her, denn irgendwo muss man schließlich Dinge lagern, die man vielleicht demnächst, doch ganz gewiss später noch einmal gebrauchen könnte.
Die alten Dachbodenluken in unserem Haus wurden durch größere Velux-Fenster ersetzt und natürlich nicht weggeworfen, sondern im Unterstand bei all den anderen Sachen gestapelt. Natürlich war der Unterstand schnell vollgestellt. Inzwischen wurde schon hin und her gestapelt, um durch bessere Ordnung etwas Stauraum zu gewinnen. ‘Seit zwei Jahren stellen wir nun schon das alte Dachlukenfenster von einer Ecke in die andere’, sagte ich zu meinem Mann, ‘was willst Du eigentlich damit? Lass es uns zum Sperrmüll geben, wir brauchen es doch nicht mehr!’ – ‘Nein’ sagte er, ‘wer weiß, wofür wir es noch mal gebrauchen können.’ Es blieb also stehen!
Nach ungefähr sieben Jahren kam einer unserer Nachbarn und fragte meinen Mann: ‘Hast Du zufällig noch das alte Dachlukenfenster, meines ist gerade kaputt gegangen und ich könnte es jetzt gut gebrauchen.’ – ‘Selbstverständlich habe ich das noch’ sagte mein Mann mit einem Seitenblick zu mir, der voller Genugtuung war. Typisch Siedler?“