Hans Walter Niemann, geboren 1928 in Reinbek, erzählt von seinen Erlebnissen nach dem Krieg. Im dritten und letzten Teil erinnert er sich an die Wiedereröffnung des Familienbetriebes, die Währungsreform und den Traum vom eigenen Auto:
„Man wartete, dass die Männer, Väter, Großväter, Kinder aus den Gefangenenlagern zurückkamen. Im Herbst 1945 kam dann auch mein Vater nach Hause, der in Dänemark in Gefangenschaft geraten war. So war allmählich die Familie wieder zusammen, bis auf meinen Bruder eben, der noch im Januar 1945 in den Beskiden (Westkarpaten) gefallen ist. Wir versuchten nun, nachdem wir wieder da waren, das Geschäft in Gang zu bringen. Mutter hatte das lange genug allein gemacht. So wurde ich dann 1946 wieder in unserem Geschäft angestellt. Meine Tante hatte inzwischen jemanden anderen für den Rollwagen gefunden. Frau Occolowitz musste natürlich auch auf mich verzichten. Das war im Grunde Konkurrenz. Bei den Artikeln, die man bisher verkaufen konnte, war das nicht so schlimm, aber das Leben normalisierte sich jetzt wieder. Rückblickend erscheint es unwahrscheinlich, wie sich die Menschen auf die Situation nach dem Krieg einstellen konnten. Es wurde alles Mögliche erfunden, sei es zum Essen, sei es zum Leben, sei es für Bekleidung. Da muss ich schon sagen, dass die Deutschen doch ein Volk sind, das wirklich gut improvisieren konnte. Das war schon toll.
Allmählich begann man, sich mehr mit der Zukunft zu beschäftigen. Wir Jungs, die jetzt gerade 18 geworden waren, hatten natürlich auch den Wunsch, sich irgendwann ein Auto leisten zu können, was ja mit Sicherheit wieder kommen würde. Der Optimismus war sehr groß. So hatte ich beschlossen, den Führerschein zu machen. Das war aber nicht so einfach, denn zum Führerschein machen mussten auch die Voraussetzungen entsprechend sein. So bekam ich von meiner Tante, d.h. von der Spedition Niemann, eine Bescheinigung, dass ich unbedingt den Führerschein machen müsste, um in ihrem Unternehmen auch LKW fahren zu können. Das war die Bedingung, und so ging ich nach Hamburg, zum Lehmweg, wo man im Jahre 1946 schon eine Fahrprüfung ablegen konnte. Ich erkundigte mich, bekam meine Stunden zugeteilt und es hieß dann, dass jeder, der jetzt einen Führerschein machen will, einen Kanister Benzin mitbringen muss. Das war aber nur, um Benzin zu bekommen, denn gefahren sind wir auf einem LKW mit Holzkohlenvergaser.
Wie dem auch sei: Am 08.08.1946, mit 18 Jahren, bekam ich meinen Führerschein für LKW der Klasse I, das heißt für PKW und LKW in allen Größen. Ich war natürlich stolz und harrte der Dinge, die sich jetzt entwickeln würden. Wir hatten noch kein Auto. Das ist klar, wir hatten vorher keins und jetzt gab es keins und somit musste ich trotz Führerschein mit dem Fahren ein bisschen warten.
Im Geschäft ging es aufwärts, die Bedingungen wurden immer besser und man plante schon 1948 einen eventuellen Geldumtausch ein. Es kursierten alle möglichen Gerüchte, wie und wo und was. Kurzfristig wurde dann bekanntgegeben, dass die Reichsmark abgeschafft wird und dafür die Deutsche Mark kommt. Wir bekamen alle 40 DM und unsere Konten wurden umgestellt. Der Umtausch war natürlich ein großes Ereignis. Man muss sich wundern, dass bei so viel Geld, das dort in den einzelnen Sparkassen oder Schulen lagerte, so wenig Sicherheit gegeben war. Die Feuerwehr hatte es übernommen, die Eingänge abzuschotten und zu sichern. Ich weiß, mein Freund Arthur Strunge stand im Gymnasium vor der Tür und kontrollierte und leitete die Umtauscher. Zu der Zeit war ich nicht mehr aktiv in der Feuerwehr tätig, weil das für mich nicht das Richtige war.
Am Montag nach dem Umtausch gab es urplötzlich alles zu kaufen. Es war fast so, dass man sagte, es gab nichts, was es nicht gab. Die Geschäftsleute hatten die Ware, die im Krieg zurückgehalten wurde, aus dem Keller geholt. Die war noch aktuell, denn es gab ja keine neue Mode oder ähnliches. Die Leute haben gekauft und sich eingedeckt. An Lebensmitteln war alles wieder da, obwohl es immer noch Lebensmittelmarken gab. Man war wie im Freudentaumel. Und somit pulsierte das Leben wieder.
Ich muss auch sagen, bei uns in der Firma war es dann gleich so, dass wir sagten: ‘jetzt haben wir neues Geld, jetzt geht alles aufwärts’, und schon wurde umgebaut. Wir hatten nur einen kleinen Laden von 24 qm. Dann wurde das angrenzende Büro, das 12 qm maß – die Hälfte vom ganzen Laden -, im Herbst umgebaut und der Laden dadurch um ein Drittel vergrößert. Vielleicht war das meine Initiative, denn auf Grund meiner Jugend war ich natürlich sehr stürmisch und wollte alles versuchen und realisieren.
Was damals auch eine ganz große Masche war, das war das Umfärben der Uniformen. Sie wurden von den Zurückgekommenen getragen und tauchten überall noch wieder auf, denn viele hatten nichts Anderes anzuziehen. Das Feldgrau sah ja nicht besonders gut aus, es wurde in Braun, in Schwarz oder in Blau umgefärbt und dann sah das wieder manierlich aus. Dafür hatten wir uns gleich stark gemacht. Wir hatten eine Wollfabrik, die Firma Roder und Rodatz – die mit den drei Kugeln -, die in der Nähe des Heidenkampwegs saß. Dort wurden die Uniformen anstatt Wolle, die man sonst eingefärbt hatte, umgefärbt. Sie wurden bei uns im Laden angenommen, nummeriert, mit kleinen Blechmünzen mit Nummern versehen, damit wir sie wieder erkennen konnten, denn Papier ging beim Färben kaputt. Die Sachen wurden mit dem Fuhrunternehmen Niemann hingebracht, wenn die ihre Ware in Hamburg abholten, eingefärbt und auf dem Rückweg wurden die fertigen Stapel mitgenommen.
Das war an und für sich ein gutes Geschäft. Und irgendwann sagten wir, das könnten wir ja eigentlich auch selbst transportieren, dann würde sich ja vielleicht auch ein Auto lohnen. Somit kam der Gedanke auf, dass man sich doch irgendwann ein Auto zulegen sollte. Die ersten Anzeigen wurden angesehen, um zu sehen, was es auf dem Markt gab. Manche Anbieter wollten viel Geld haben für ihr Auto, weil sie es im Moment nicht brauchten und sehr oft auch auf ein neues Fahrzeug warteten.“