Lore ist in der Querstraße am Rosenplatz aufgewachsen und war bei Kriegsende noch ein Kind. Sie erzählt von Maisbrot, Kunsthonig und Schlittenfahrten von der Schulstraße bis zur Schlossstraße:
„Nach 1945 gab es bei Rathmann in der Bahnhofstraße Fleisch und Gemüse. Man musste zuerst nach Fleisch anstehen um zu sehen, was es gab. Wenn man Glück hatte, konnte man anschließend das passende Gemüse dazu kaufen. An jedem Verkaufstresen stand aber eine lange Schlange und man musste jedes Mal neu anschließen und lange warten, bis man drankam.
Wir kauften auch bei der ‘PRO’ [eine Konsumgenossenschaft], die im Haus Hemken, heute Am Rosenplatz 8, ein Geschäft hatte. Man musste die Geschäfte ständig wechseln. Mal hatte der eine Laden dies und dann der andere das. Die Auswahl war nicht groß. Um Brot zu kaufen wurde ich zur PRO geschickt. Es gab wie immer in dieser schlechten Nachkriegszeit Maisbrot, natürlich auf Marken. Ich packte mein Brot in die Tasche, bezahlte und dann gab mir die Verkäuferin irrtümlich noch ein Brot. Ich sagte natürlich nichts und steckte es ein. Es war für uns eine wertvolle und willkommene zusätzliche Ration. Übrigens hatte man zum Einkauf Beutel und Behältnisse für die Lebensmittel mitzubringen, Tüten oder Einwickelpapier gab es nicht.
Die Großeltern meiner Freundin Annegret hatten ein Milchgeschäft in der Kurzen Straße, in dem es auch andere Lebensmittel zu kaufen gab. Kunsthonig wurde gegen Marken nach Gewicht aus einem Blecheimer verkauft. Wir nahmen jeder einen Löffel, mogelten uns am Honigeimer vorbei und stippten den Löffel hinein. Dann waren wir auch schon ganz schnell draußen und konnten unseren Löffel ablecken. Mitunter hing auch ein kleiner Honigklumpen am Löffel. Das war schon etwas besonderes, denn Süßigkeiten, Bonbons oder Schokolade gab es nicht.
Eines Tages gab es als Stoffzuteilung blau-kariertes Leinentuch, wohl Bettwäsche aus Wehrmachtsbeständen. Alle meine Freundinnen hatten neue Kleider aus diesem Stoff, nur ich bekam keins. Darüber war ich sehr betrübt. Mutter hatte wohl eine andere dringendere Verwendung dafür.
Wir hungerten in der Zeit nach dem Krieg, wie so viele andere Einwohner auch, die nichts zum tauschen gegen Lebensmittel anbieten konnten. Erst nach der Währungsreform 1948 besserte sich allmählich die Versorgung und wir konnten, wenn wir denn Geld hatten, vieles einkaufen.
Spielzeug konnte man ebenfalls nicht kaufen. Vater hatte einen lenkbaren Schlitten gebaut, mit dem man toll im Wald den Bäumen ausweichen konnte. In den letzten Kriegsjahren und nach 1946, als kaum Fahrzeugverkehr auf den Straßen war, rodelten wir von der Schulstraße bis zur Schlossstraße hinunter. Wenn Autos kamen warnten wir uns mit dem Ruf ‘Auto kommt!’. Mitunter rief dies auch jemand, wenn kein Auto in Sicht war. Derjenige bekam dann eine Schneeabreibung.“