Die Reinbeker, mit denen Eckart Bünning sprach, erzählten über die umittelbare Nachkriegszeit von Lebensmittelmarken, Nahrungsknappheit und schmalen Rationen, aber auch von Selbstorganisation, z.B. beim Schulbetrieb:
Frau Maria, Jahrgang 1908, berichtet: Als es in der Kriegs- und Nachkriegszeit Fleisch nur in sehr geringer Menge auf Lebensmittelmarken gab, wollte jeder Kunde natürlich möglichst Fleisch ohne Knochen haben, da diese mit gewogen wurden. Schlachter Troll hatte in seinem Laden ein großes Schild angebracht auf dem stand:
„Ochsen, Kälber, Hammel, Schweine, haben alle dicke Beine, darum muß beim Fleisch verwiegen jeder ein paar Knochen kriegen.“
Wenn Frau Troll gut gelaunt und kein weiterer Kunde im Laden war, gab sie ein Knochenstück extra. Wenn Wurst gekocht wurde, konnten wir uns etwas von dem fetthaltigen Kochwasser abholen. Dann standen aber viele Bewohner in einer langen Schlange nach dieser Wurstbrühe an.
Frau Anni, damals 30 Jahre alt, hatte mit ihrem Mann zusammen ein Lebensmittelgeschäft. Neue Waren bekamen sie nur auf Umwegen: Während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren mussten die von der Lebensmittelkarte des Kunden abgeschnittenen Lebensmittelmarken auf Papierbogen aufgeklebt werden. Die Bögen wurden bei der Gemeinde in Bezugsscheine umgetauscht, gegen die wiederum Lebensmittel beim Großhändler eingekauft wurden. Mitunter fehlten Marken, dann musste Ware auf dem Schwarzmarkt eingekauft werden.
Gustav, Jahrgang 1925, hat in einer Brennstoffhandlung gearbeitet. Lohmeyer machte zur Versorgung der Bevölkerung und für die Besatzungstruppen im Vorwerksbusch Bäume nieder. Jeden zehnten Meter des geschlagenen Holzes bekamen die Holzarbeiter zusätzlich zu ihrem Lohn. Dafür mussten sie aber auch Benzin und Instandhaltung der Kettensägen bestreiten. Zu den Holzfällarbeiten wurden auch Reinbeker Einwohner verpflichtet. Wer der Arbeitsaufforderung nicht nachkam, bekam keine Lebensmittelmarken. So waren neben anderen „Größen“ einige Lehrer bis zu ihrer Entnazifizierung zwangsweise im Forst beschäftigt. Sie schafften bei diesen für sie ungewohnten Arbeiten nur wenig und bekamen gelegentlich von den andern Arbeitskolonnen ein paar Holzscheite zugesteckt. Das Kronenholz durften sich die Einwohner gegen Bezugsschein aus dem Wald holen. Der gesamte Reinbeker Waldbestand wurde bis auf einige Ausnahmen völlig kahl geschlagen.
Kurt, Jahrgang 1939, erinnert sich an die Erzählungen seiner Familie. Eines Tages kam die Aufforderung, alle Pferde abzuliefern. Sie sollten ins Rheinland transportiert werden, dort war ein Mangel an Pferden, während hier in Stormarn einige Flüchtlingstrecks mit Pferden angekommen waren. Die Pferde wurden aber auch hier zu Waldarbeiten und zum Transport für Brennholz und dergleichen gebraucht. Auf dem Sammelplatz in Barsbüttel versammelten sich die Pferdehalter mit ihren Tieren. Mein Vater kam als letzter, ging in die Baracke zu den Leuten, die die Pferde annehmen sollten und begann lauthals zu lamentieren und zu verhandeln. Er konnte sehr aufbrausen und laut werden. Jedenfalls hatte sein Auftritt Erfolg und die Pferde konnten in Reinbek bleiben. Er hat sich dadurch große Anerkennung der Reinbeker Pferdebesitzer erworben und noch viele Jahre später sprachen sie ihn dankbar deswegen an.
Der Schulbetrieb in Reinbek wurde mit Kriegsende eingestellt. Er musste erst wieder organisiert werden. In der ersten Nachkriegszeit gab es keinen Unterricht. Die Lehrerin Frau Bauck hat für interessierte Schüler nachmittags in ihrer kleinen Wohnung in der Bahnsenallee ein paar Stunden Unterricht gegeben. Im Frühjahr 1946 begann der geregelte Schulbetrieb wieder, allerdings wurden die Schulen noch als Lazarett benutzt und der Unterricht fand in verschiedenen Villen statt. Die Lehrerin Frau Bauck hatte Bedenken, da die alten Nazi-Schulbücher weiter verwendet wurden, andere gab aber nicht. Erst als das Lazarett von der Volks- und Mittelschule in das Sophienbad verlegt wurde, konnten die Klassen wieder in ihr Schulgebäude einziehen. Die Sachsenwaldschule war schon vorher frei.
Mit der Währungsreform 1948 trat allmählich eine Besserung der Verhältnisse ein. Es gab einige Lebensmittel allerdings noch bis 1950 auf Marken. Der Schwarzmarkt blühte aber.
Auch die Wohnungsnot linderte sich. Man hatte nun doch etwas Sicherheit, die ersten Häuser wurden gebaut, Siedlungen entstanden, das Leben normalisierte sich allmählich.