Die Wohnverhältnisse in Reinbek waren nach 1945 katastrophal. Viertausend Menschen lebten 1939 in Reinbek, bereits damals war Wohnraum knapp. Dringend benötigter Wohnraum entstand auf den ehemaligen Ländereien des Karolinenhofs. Eckart Bünning über Entstehung und Aufbau der Märchensiedlung:
Nach der Währungsreform 1948 kam die Wirtschaft wieder in Gange und die Produktion von Baumaterial lief an. Grundstückseigentümer waren bereit, Bauland zu verkaufen. Die Gemeinde Reinbek wies somit entsprechende Baugebiete aus. Nun fehlte den Bauinteressierten zunächst das Geld. Der Staat gab Anreiz durch Erlass der Grundsteuer für 10 Jahre und es gab weitere finanzielle Unterstützung für den Bau von Eigenheimen durch die Wohnungsbaukreditanstalt des Landes Schleswig-Holstein. Daran waren allerdings Auflagen hinsichtlich der Wohnraumgröße und der Ausstattung einzuhalten.
Mit dem Bau von Mietwohnungen befasste sich die neu gründete „Gemeinnützige Baugenossenschaft Sachsenwald“. Wer berechtigt war, eine kleine Wohnung zu beziehen, konnte der Baugenossenschaft beitreten und musste, der Wohnungsgröße entsprechend, einen oder mehrere Genossenschaftsanteile erwerben. Die Baugenossenschaft unterstützte auch den Bau und die Finanzierung von Eigenheimen. Sie ließ Planungskonzepte erarbeiten, gab die Architektenentwürfe in Auftrag und organisierte den Arbeitsablauf.
Die Baugenossenschaft führte auch für die Märchensiedlung Regie. Architekt Kuhnke aus Siek hatte den Entwurf geliefert, der Reinbeker Bauunternehmer Blaesing führte den Hochbau aus, Klempner war Rudolf Duvendag und andere Handwerker kamen von auswärts.
Unter diesen Voraussetzungen entstand die Märchensiedlung am Mühlenredder. Dennoch war hier vor allem Eigenarbeit der Siedler gefragt, denn alles, was man durch eigene Arbeit schaffen konnte, verminderte die Baukosten. Im Frühjahr 1952 konnten die Bauarbeiten beginnen. Unter schwierigsten Arbeitsbedingungen wurden Keller von Hand ausgeschachtet, Beton gemischt, mit Schiebkarren auf den Bau gefahren und die vorgefertigte Schüttform aus Stahlblech mit Beton ausgefüllt. Erst wenn der Beton ausreichend erhärtet war, konnte die Form ein Stück versetzt und erneut gefüllt werden.
Neben dem Keller wurden alle Gräben für Gas-, Strom- und Wasserleitung und eine Sickerkuhle für die Abwässer im Garten per Hand ausgegraben. Wer Beziehungen hatte und die Kosten in Kauf nahm, konnte einen kleinen Bagger ausleihen. Das entlastete von der körperlichen Anstrengung. Damals gab es noch die 48-Stunden Arbeitswoche und oft wurde auch auf der Arbeitsstelle kräftezehrend im Akkord gearbeitet.
Der Aufbau der Grundstücke war vorgegeben. Die Märchensiedlung galt als landwirtschaftliche Nebenerwerbssiedlung mit entsprechend großen Grundstücken, mindestens 1500 Quadratmeter waren gefordert. Die Grundstücke waren jedoch nur 800 qm. groß. Um die strengen Bauauflagen zu erfüllen, musste jeder nachweisen, dass er die fehlenden 700 qm durch Zupachtung tatsächlich bewirtschaftete.
Auch die Ausstattung der Wohnungen war vorgegeben. Ein Badezimmer durfte außer der Waschküche, die in den Bauunterlagen als „Futterküche“ bezeichnet wurde, nicht eingebaut werden. Die Toilette war in einem Anbau untergebracht, der nur vom Hof aus zugänglich war, statt eines Spülklos stand dort ein Eimer. Das Klo wurde auch von den Mietern im Obergeschoss benutzt, die dann bei Kälte und Regen erst um das Haus herumgehen mussten. Manch einer riskierte es, durch versteckte Leitungen einen späteren Einbau von Bad und Sanitäreinrichtung vorzubereiten. Das ganze Haus war nur zur Hälfte unterkellert.
Klärgrube und Abwasser mussten zur Gartendüngung verwendet werden. In der Küche wurde auf einem mit Kohle befeuerten Herd gekocht. Wer fortschrittlich war, benutzte einen Gasherd.
Eine Zentralheizung. gab es nicht, in den Zimmern standen kleine Kachelöfen. Das Ofenbauerhandwerk hatte einen Ofentyp, den Typ „Hamburg“, entwickelt, der einfach und preiswert aufgebaut und robust von der Bauart her war. Der Typ wurde hier ebenso verwendet wie in den großen Blocks der Wohnungsbauunternehmungen. Ofenbaumeister Popp aus Glinde baute die Öfen ein.
Die Obergeschosse der Häuser mussten als in sich abgeschlossene Einliegerwohnungen vermietet werden. Es war noch die Zeit der Wohnraumbewirtschaftung, die Auswahl der Mieter traf das örtliche Wohnungsamt nach einem Punktesystem.
Die Bezeichnung „Märchensiedlung“ entstand im Volksmund. Die Straßennamen der Siedlung wurden später durch die Stadtverordnetenversammlung beschlossen.