Ursula Dietrich beschloss während ihres Studiums, sich beim Wiederaufbau einzubringen und mit anzupacken. Dass daraus internationale Freundschaften entstehen konnten, erzählt sie im dritten Teil ihrer deutsch-englischen Erinnerungen:
„Unser erstes Projekt war also, die Unterkünfte in Hamburg-Eppendorf wieder bezugsfähig zu machen, das zerbombte Gelände aufzuräumen. Wir waren etwa 20 Engländer und Deutsche, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft: Studenten, arbeitslose junge Handwerker, ehemalige Angehörige der Royal Army, versierte Jugendbetreuer wie der Projektleiter Robert Arthur, aber auch angehende Journalisten wie Ralph Dahrendorf und Gerd Ruge, bekannt als späterer Fernsehkorrespondent. Wir schufteten wirklich hart unter primitivsten Verhältnissen, aber wir wurden alle sehr rasch gute Kameraden. Es herrschte eine raue, aber herzliche Stimmung. Wir Frauen verwalteten mit einer Haushaltslehrerin die provisorische Küche und sorgten für Verpflegung (gesponsert von der Besatzungsmacht), und die männlichen Freiwilligen erledigten die handwerklichen Arbeiten unter Einsatz von britischen Treckern, Jeeps und anderen notwendigen Maschinen.
Zwischendurch und abends gab es natürlich neben endlosen Diskussionen über das Phänomen Nationalsozialismus, Wiederaufbau etc. auch fröhliche Zusammenkünfte mit Tanz, Gesang und Ginger Ale! Zum Schluss unternahmen wir eine Elbefahrt nach Cuxhaven, schlossen dicke Freundschaft mit Colin, Don, Bill, Ellen, Liz und anderen, und verabredeten uns für das nächste Projekt in Duhnen. Dort sollte der Wiederaufbau des Ove-Ovens-Hauses, einer großen Jugendherberge des Deutschen Jugendherbergsverbandes, in Angriff genommen werden.
Im Frühjahr 1947 trafen sich 14 Deutsche und 12 Engländer in Duhnen. Die Leitung des Projektes hatte wieder Robert Arthur, der bis 1946 bei der ‘Quaker Friends Ambulance Unit’ in Burma tätig gewesen war. Robert erläuterte in einem Interview mit einer Cuxhavener Zeitung: ‘Der Zweck unseres Aufenthalts in Duhnen ist weniger auf die Arbeit zum Aufbau des Ove-Ovens-Hauses gerichtet, als auf unsere gemeinsame Arbeit mit jungen Menschen, die eine Brücke sein soll zu einer Verständigung aller Völker und zur Errichtung eines dauerhaften Friedens.’
Hehre Worte, aber unser Idealismus war sehr groß nach dem verlorenen Krieg. Wir sehnten uns nach Ruhe, Harmonie und Freundschaft.
Aber für ein paar Wochen stand für die Gruppe natürlich die harte Arbeit am Bau im Vordergrund. Die Schäden am Haus und im Innern sollten beseitigt werden unter der Anleitung von berufserfahrenen Handwerkern. Es war schon erstaunlich, was wir Laien bewerkstelligen konnten, wir waren sehr stolz auf unsere geleistete Arbeit! Ich wurde der Küchenmannschaft zugeteilt und sorgte mit Ellen Roth und Friedel Schwartau, ausgebildeten Haushaltsexpertinnen, für die Verpflegung. Die Mahlzeiten wurden natürlich gemeinsam eingenommen, die Rationen waren der britischen Besatzungsmacht angeglichen, so dass wir nach vielen Monaten wieder so richtig satt wurden.
Wir hatten eine anstrengende, aber wunderbar kameradschaftliche Zeit am Meer. Es herrschte ziemlich kaltes Wetter und in dem kaputten Haus war es höchst ungemütlich! Aber abends versammelten wir uns hundemüde im Gemeinschaftsraum oder am Lagerfeuer, sangen deutsche und englische Lieder und diskutierten unsere Zukunftsaussichten in beiden Ländern. Wir wurden wirkliche Freunde und blieben lange in Verbindung. Einige Kumpels traf ich in England wieder, wohin ich im Frühherbst eingeladen worden war.
Bei der Einweihungsfeier der wieder hergerichteten Jugendherberge nahm eine hochrangige Delegation des englischen Jugendherbergsverbandes mit dem Präsidenten Mr. J. Catchpool teil. Er regte an, dass zwei junge Deutsche im Gegenzug nach England eingeladen werden sollten, um Einblick in die dortige Jugendarbeit zu gewinnen. Zu meiner großen Überraschung und Riesenfreude wurde ich mit einem Studenten aus Hannover, Gerd Wieding, ausgewählt. Meine Eltern hatten gottlob keine Bedenken, mich unerfahrene Zwanzigjährige ziehen zu lassen. Sie kannten meine Reise- und Abenteuerlust und vertrauten Daddy Catchpool, der persönlich die Reisepläne mit ihnen im Vorwege besprochen hatte. Ich glaube, sie fühlten sich ein wenig geschmeichelt.“