Wulfried Jedicke erzählt von ideologischer Leere am Ende der Nazi-Zeit:
„Heinz-Werner, mein langjähriger Schulkamerad und Freund von 1933 bis heute, 2005, hatte eine Mutter mit deutscher und einen Vater mit dänischer Staatsangehörigkeit. 1940 musste er sich mit 17 Lebensjahren für die eine oder andere entscheiden. Wir sind bis dorthin gemeinsam zur Schule gegangen, waren im Jungvolk und der Hitlerjugend und sind trotz getrennter Wege (feldpost)-brieflich in Kontakt geblieben.
Anfang 1946 haben wir uns in Wandsbek getroffen: Er kam aus Kopenhagen, ich aus meiner Studentenbehelfsunterkunft in Flottbek. Beim Erinnerungsbesuch der Trümmer unserer beiden Elternhäuser in der Hammer Straße – nur 200 Meter voneinander entfernt – fragte mich Heinz-Werner unvermittelt: ‘Sag mal, bist Du eigentlich ‘Nazi’ gewesen?’ Auf meine bejahende Antwort kam seine – erleichterte – Reaktion: ‘Gott sei Dank! Dann waren Hitler und ich nicht die Einzigen!’
Ein Witz… oder doch keiner?
Noch heute trage ich das Trauma mit mir, wie ich mich in zwölf Jugendjahren von dem Rattenfänger einfangen lassen und seinen verrückten Ideen folgen konnte. Erst in der Gefangenschaft und während der Studienzeit konnte ich die plötzlich entstandene innere Leere mit der Erinnerung an das vorbildlich christliche Elternhaus und mit der Besinnung auf die humanistischen Klassenlehrer auf dem Matthias-Claudius-Gymnasium wieder auffüllen.
Jetzt beschäftigen mich Sorge und Hoffnung, dass ein neuer ‘Messias’, auf den die Menschheit wartet, nicht wieder ein Rattenfänger sein wird, der vielleicht Adolf heißt.“