Am Ende des Zweiten Weltkrieges war noch einmal viel los in Ohe: Hermann Becker erzählt von der „Nachrichtentruppe“, Artilleriesoldaten, der SS und schließlich den ersten „Tommys“:
„Als die Engländer bei Lauenburg auf dem linken Elbufer angekommen waren, dauerte es nicht mehr lange bis der Krieg auch in Ohe zu Ende ging. Tagsüber gab es immer wieder Tieffliegerangriffe, die sich aus unserer Sicht vorwiegend über der Eisenbahnstrecke zwischen Reinbek und Friedrichsruh ereigneten und besonders gut vom Voß- und Klingeberg aus zu sehen waren. Immer häufiger erschienen in Ohe deutsche Soldaten, Soldaten aus den Wentorfer Kasernen, die nicht mehr wie früher in Formation durchs Dorf marschierten, sondern jetzt bei ihren Manövern schwer bewaffnet im Gänsemarsch daherkamen. Besonders bewundert haben wir Kinder die ‘Nachrichtentruppe’, die sich überraschenderweise für einige Tage in den Oher Privatwohnungen einquartierte, denn deren Soldaten verfügten über außergewöhnlich große und außerordentlich luxuriöse Personenkraftwagen, so wie wir sie bis dahin noch nicht gesehen hatten. Mercedes, Horch, Wanderer, Adler und Maybach waren Automarken, die wir zu unterscheiden lernten. Doch diese Truppe war bald wieder weg. Und dann, als wiederholt am abendlichen Himmel im Südosten pausenlos Leuchtkugeln in Blickrichtung Lauenburg aufgestiegen waren, ging im Müssenredder die Artillerie mit einigen Geschützen in Stellung. Nach der vorausgegangenen ‘PKW-Parade’ waren die Fahrzeuge dieser Truppe mit Gummibereifung vorn und Kettenantrieb hinten aus Kindersicht wenig attraktiv; sie waren weder LKW noch Panzer. Interessant war es für uns, zu sehen, wie die Artilleriesoldaten ihre Geschütze mit Netzen und Ästen aus dem Knick bestens tarnten und alle Rohre nach Südosten ausrichteten. Mein Vater, der im Ersten Weltkrieg selbst bei der Artillerie gewesen war, hatte schnell zu diesen Soldaten Kontakt gefunden und von ihnen erfahren, dass sie bereits aus ihrer Beobachtungsstelle ‘Tommys’ auf dem linken Billeufer erspäht hatten. Das war ohne weiteres möglich, weil sich die Beobachtungsstelle hoch oben im hölzernen Vermessungsturm über dem trigonometrischen Punkt des Klingebergs (TP 59,3m) befand.
Als dann am 2. Mai 1945 auch noch geschmeidige kampflustige SS-Soldaten bei uns auf dem Hof auftauchten, wurde mein Vater nervös. Er befürchtete wilde Schießereien, denn die jungen SS-Leute traten mit ihren Fallschirmjägerabzeichen und Orden sehr selbstbewusst auf, reinigten mit sichtlichem Vergnügen demonstrativ ihre Waffen und sagten: ‘So, nun kann es wieder losgehen!’ Aus Übermut schoss ein Soldat eine Kugel in den Stamm der Hoflinde, ein anderer feuerte mit der Pistole auf den Starenkasten in der Baumkrone. Daraufhin rief mich meine Mutter ins Haus. Eine Zeitlang später erhielten die SS-Fallschirmjäger Gott sei Dank den Befehl, nach Kronshorst abzurücken. Zum Ärger unseres Nachbarn Otto Preuß beschlagnahmten sie dann noch dessen Ziehwagen, um darauf die Panzerfäuste zu transportieren. Als diese unberechenbaren und fanatischen Soldaten nicht mehr da waren, fühlten sich meine Eltern wie erlöst. Der Artillerieleutnant hatte wohl ähnliche Gedanken und sagte daraufhin zu meinem Vater: ‚Wenn die erfahren hätten, dass die Tommys schon so nah sind, wäre hier die Hölle los gewesen! – Im Vertrauen: Wenn es sein muss, geben wir höchstens noch einen Schuss ab und verschwinden dann ganz schnell.‘ Am nächsten Morgen war die Artillerie verschwunden, sie hatte sich im Dunkel der Nacht abgesetzt.
Die ‘Tommys’ sind da
Am 3. Mai 1945 war es dann soweit: Wir hörten zunächst die Kettengeräusche und sahen dann die Panzer, wie sie vom Gut Schönau aus ins Dorf rollten. Es dauerte eine ganze Zeit, bis die Panzerspitze an der Eiche in der Großen Straße angekommen war. Durch den Türspalt riskierte ich mit Herzklopfen einen vorsichtigen Blick auf den ersten Panzer und zog mich aus Angst sofort wieder ins Haus zurück. Ich hatte nicht einen einzigen englischen Soldaten gesehen, doch die sah ich wenig später aus dem Küchenfenster, wie sie mit ihrem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett im Anschlag über den Hof eilten und zwei deutsche Landser festnahmen, die sich in unserem Kuhstall versteckt hatten und sich nun mit erhobenen Händen ergaben. Dann erschienen sechs Soldaten in unserer Küche und ließen sich am Küchentisch nieder und bedeuteten meiner Großmutter durch Zeigen und mit Handbewegungen, dass sie ihnen heißes Wasser für einen Tee bereiten sollte, was sie dann auch prompt tat. Währenddessen stand ich still in einer Ecke und verfolgte alles genau, was um mich herum geschah. Als sich die Soldaten bedankten und die Küche verließen, fasste ich den Mut, zu meinem Vater auf den Hof zu gehen, dem ich anmerkte, dass er offensichtlich keine Angst hatte. Irgendwann setzten sich alle Militärfahrzeuge mit lautem Getöse in Bewegung und fuhren nach Westen in Richtung Hamburg davon. Damit war in Ohe das Kriegsende erreicht.“