Das sog. Pflichtjahr wurde von den Nationalsozialisten eingeführt. Es verpflichtete jede kinderlose, unverheiratete Frau unter 25 Jahren zur Mitarbeit in einer Haus- oder Landwirtschaft. Eine Reinbekerin erzählt aus ihrem Pflichtjahr in Reinbek und Havighorst. Gisela Hackbarth hat es aufgeschrieben:
„Im März 1945 wurde ich, obwohl erst 13 Jahre alt, konfirmiert. Kurz danach begann ich mein Pflichtjahr in Reinbek bei einer Familie mit sechs kleinen Kindern und war eigentlich doch selbst noch ein Kind. Etwas später, am 1. Juni 1945 kam ich auf einen Bauernhof in Havighorst.
Nun konnte ich abends nicht mehr nach Hause, denn der Weg war zu weit. Diese Trennung von meinen Eltern fiel mir sehr schwer. Im Sommer durfte ich sonnabendabends mit dem Fahrrad nach Hause fahren, im Winter wegen der Dunkelheit erst sonntags nach dem Frühstück.
Die Weg nach Hause und zurück war immer aufregend. Meine Fahrradreifen waren schon oft geflickt und neue konnten wir nicht bekommen. Einmal schaffte ich es gerade, den Ortseingang von Havighorst zu erreichen. Dort war ein Schuster. Bei ihm ließ ich das Rad stehen, damit er es wieder in Ordnung bringen konnte. Fuhr ich dann am Wochenende nach Reinbek zurück, schaffte ich es gerade bis zur Schützenstraße. Dann flickte mein Opa den Reifen. So ging es Woche für Woche.
In der ganzen Zeit litt ich sehr unter Heimweh. Ich habe aber das Jahr durchgehalten. Gearbeitet habe ich gern, war ich doch von zu Hause aus daran gewöhnt, schon als Kind in Haus und Garten zu helfen.
Auf dem Hof lebten der Bauer und die Bäuerin und deren zwei Töchter, die kaum älter waren als ich, sowie ein kleiner Sohn. Später stellte der Bauer noch einen ehemaligen Soldaten als Knecht ein, damit er Hilfe für die schweren Arbeiten hatte.
Ich wohnte in einer kleinen Kammer, die von der Küche aus zugänglich war. Ein Bett, ein Schrank und ein Stuhl standen darin. Kaum war ich dort eingezogen, wurde das Zimmer der Töchter für andere Bewohner gebraucht. Meine Kammer erhielt ein dreistöckiges Bett und wir Mädchen schliefen nun alle drei in der kleinen Kammer. Das war manchmal auch ganz lustig.
Ende Juni 1945 wurde ich 14 Jahre alt. Zu der Zeit war ich voll in die Pflichten und Arbeiten auf dem Bauernhof eingebunden. Im Sommer standen wir um 5 Uhr morgens auf. Zuerst melkten wir die Kühe, dann trieben wir sie auf die Wiese. Die großen Kannen mit der Milch stellten wir auf einen Bock an der Straße. Ein Fuhrwerk der Meierei holte die Milch ab. Die Kannen kamen mit Magermilch und Molke gefüllt zurück. Hiermit wurden die Kälber und Ferkel gefüttert. Waren die Kannen leer, mussten wir sie gründlich reinigen und waschen. Auch das war harte Arbeit.
Abends holten wir die Kühe von der Weide zurück. Sie wurden wieder gemolken und blieben die Nacht über im Stall. Jeden Morgen musste ich deshalb nach dem Melken den Stall ausmisten und die Rinne reinigen. Den Mist brachte der Bauer mit einer Schiebkarre zum Misthaufen. Danach streute er den Kuhstall wieder mit viel Stroh aus.
Das Melken musste ich ja auch erst lernen. Schwierig war es im Sommer, wenn die Fliegen die Kühe zu sehr belästigten. Dann schlugen sie mit dem Schwanz und traten auch um sich. Als ungeschickte Anfängerin konnte ich einmal die Balance auf dem Melkschemel nicht halten und kippte mit dem Eimer voller Milch um und lag in der Rinne, im Mist, übergossen mit Milch.
Die Schweine mussten ebenfalls täglich gefüttert werden. Für sie bereiteten wir Futter zu. Es bestand aus gedämpften Kartoffeln, klein geschnitzelten Rüben oder gehäckseltem Grünzeug. Die Schweine hatten einen Auslauf ins Freie. Auch ihre Koben mussten wir täglich reinigen.
Im Stall standen noch zwei Pferde, ein fast schwarzes und ein braunes. Sie erhielten morgens Hafer und Gerste und frisches Wasser. Außerdem wurde ein Teil des Strohs durch sauberes ersetzt. Die Pferde wurden hauptsächlich für die Arbeit auf dem Feld gebraucht. Gelegentlich wurde ein Pferd vor die Kutsche gespannt und der Bauer fuhr in einen Nachbarort, um Geschäfte zu erledigen. Die Kutsche wurde auch angespannt, wenn die Familie zu Verwandten zu Besuch fuhr oder Besucher von einer Bahnstation abholte.
Frühstück gab es, nachdem die Tiere versorgt waren.
Um die Hühner, Gänse und Enten, die zum Hof gehörten, kümmerte sich meistens die Bäuerin oder ihre ältere Tochter. Auch der Gemüsegarten am Haus und die Blumen vor dem Haus lagen in der Obhut der Bäuerin.
Manchmal war ich auch für das Zubereiten des Mittagessens verantwortlich. Kartoffeln musste ich fast jeden Tag schälen. Das Essen wurde auf einem Herd gekocht, der mit klein gehacktem Strauchwerk beheizt wurde. Nach dem Essen wurde abgewaschen, abgetrocknet, alles wieder an seinen Platz geräumt und dann der Küchenfußboden gefeudelt. Nachmittags ging es erneut aufs Feld, um weiterzuarbeiten.
Beim Rübeneinfahren musste ich manchmal auch das Pferdefuhrwerk zum Hof fahren. Da ich das Pferd nicht richtig lenken konnte, rutschte mir einmal der Wagen in den Graben. Alle halfen mir aber, das Fuhrwerk wieder auf die Straße zu bringen.
Wurzeln und Kartoffeln wurden mit Hackern und Händen ausgegraben und eingesammelt. Die Kartoffeln waren für den Eigenverbrauch, für die Familie und die Tiere. Ein Teil der Kartoffeln wurde in einer Kartoffelmiete gelagert.
Der Bauer baute ansonsten Gerste, Weizen und Roggen an. Wenn im Sommer das Getreide reif war, gab es so viel zu tun, dass es nur eine kurze Mittagspause auf dem Feld geben konnte. Der Bauer und sein Knecht mähten das Getreide mit der Sense. Wir Mädchen banden das Getreide zu Garben und stellten es zum Trocknen zu Hocken auf. Ein paar Tage später wurde das Getreide eingefahren. Alle halfen beim Einbringen der Ernte mit.
Auf die abgeernteten Felder wurden die Kühe getrieben. Meine Aufgabe war es nun, die Kühe zu hüten, das heißt, ich musste aufpassen, dass sie nicht wegliefen. Die Felder waren nicht eingezäunt. Das war keine so anstrengende Arbeit.
Im Winter war nicht so viel zu tun, aber Melken, Füttern, Stallausmisten und viele andere Arbeiten waren dennoch zu erledigen. Ein Pferd des Bauern hatte im Winter häufig Koliken. Einer von uns musste dann die ganze Nacht mit dem Pferd spazieren gehen, damit es sich nicht hinlegte und es erneut Probleme gab.
Zur Schlachtzeit, etwa Ende November, kam ein Schlachter auf den Hof. Ich stand beim Schlachten dabei und reichte Schüsseln, Eimer, Messer, heißes Wasser und was sonst der Schlachter gerade brauchte. Wir machten Wurst, die eingeweckt wurde; außerdem noch Bregenwurst, die so wichtig für das Grünkohlgericht war. Die Mettwurst und der Schinken kamen auf den Boden, dort war eine kleine Räucherkammer.
Im Winter wurden die Knicks auf den Stock gesetzt, das heißt, sie wurden abgeholzt. Ich half beim Aufladen des Holzes und des Strauchwerks. Oft waren die Wege so matschig, dass der Wagen im Morast einsank und die Pferde es nicht schafften, den Wagen herauszuziehen. Dann mussten wir alle mit anpacken, die Pferde antreiben und die Räder schieben. Mir taten dann immer die Pferde so Leid.
An den dunklen, kalten Winterabenden saßen wir alle in der warmen Stube. Dort stand ein Kachelofen, der mit dicken Holzkloben beheizt wurde. Wir haben meistens gestrickt. Mir sind auch besonders schöne Abende in Erinnerung: Der Frost hatte Teiche und überschwemmte Wiesen zugefroren, und wir konnten im Mondschein Schlittschuh laufen.
Bei freier Kost und Logis erhielt ich 25 Reichsmark im Monat bar als Lohn. Es war ein schweres Jahr für mich, aber ich habe durchgehalten. Ich habe viel gelernt und Vieles hat auch Spaß gemacht. Diese Erfahrungen haben mir im späteren Leben oft geholfen.“