Manfred Schuster verlebte seine Kindheit in Reinbek am Schmiedesberg – er kann viel darüber erzählen, aufgeschrieben hat er es in den 1990er Jahren.
„Actiones qui fieri solent. Soccessione temporum a memoria mortalium elabuntur, nisi scritto….
Handlungen die alltäglich geschehen, entfliehen mit dem Lauf der Zeit dem Gedächtnis der Menschen, wenn sie nicht aufgeschrieben werden…..“
Herzog Adolf IV. von Schauenberg in einer Urkunde des Jahres 1229
Meine Kindheit am Schmiedesberg (1/8)
Wenn ich so zurückdenke, dann war es eine schöne Kindheit, mit allen Höhen und Tiefen, es ist die Zeit der 1950er und später dann der 1960er Jahre die hier beschrieben wird. Die 1950er Jahre waren die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders. Die Gesprächsthemen waren bei den Erwachsenen und den Kindern zum Teil andere als heute. Der zweite Weltkrieg lag erst einige Jahre zurück, es gab eine Menge Flüchtlinge, es gab noch Wohnlager, und es waren noch Kriegsgefangene in Russland.
Deutschland war dreigeteilt, meine Eltern, die selber Flüchtlinge waren, sprachen immer davon, wieder in die Heimat nach Pommern zurück zu kehren. Es gab nicht den Wohlstand, die Leute waren ärmer, viele hatten ihr Hab und Gut verloren und waren ausgebombt. Die Renten waren sehr klein und reichten gerade so zum Leben, und die Rentner hatten noch nicht so hübsche Zähne wie heute.
Es gab viel weniger Autos, 1955 kamen 39 Autos auf 1000 Einwohner, im Vergleich zu 1993 wo 648 Autos auf 1000 Einwohner kommen. Das ganze Lohnniveau war niedriger und es wurde sonnabends noch gearbeitet. Das Untertanendenken war noch ausgeprägter, die Angst vor der Obrigkeit und Polizei waren größer. Die Einheimischen, die alteingesessenen Reinbeker, hatten natürlich im Schnitt etwas mehr, und manche hatten gegenüber den Flüchtlingen einen Dünkel. Ich könnte diese Aufzählung noch beliebig fortsetzen – jedenfalls bin ich in dieser, für mich heilen, kleinen, statisch bestimmten Umwelt aufgewachsen.
An das Erste an das ich mich erinnern kann, ist die Straße in der wir damals wohnten. In den Jahren 1948 bis 1957 waren wir bei Uhrmacher Schwarz in einem Zimmer untergebracht, das unter dem Dach lag. Wir, das waren mein Vater Walter Schuster, meine Mutter Johanna Schuster geb. Brötzmann, und ich Manfred Schuster. Am 28. Mai 1952 kam meine Schwester Ingrid noch hinzu.
Später habe ich erfahren, dass meine Eltern erheblich mehr Vornamen hatten, nämlich Walter Karl Albert, und Johanna Gertrud Anna. Bei mir und meiner Schwester ist es bei einem Vornamen geblieben. Als ich am 20. Februar 1948 im Sophienbad, das damals noch Lazarett war, geboren wurde, lebte noch meine Großmutter Oma Schuster mit in der 11qm großen Wohnung. Kurze Zeit später zog Oma Schuster, sie war die Stiefmutter von meinem Vater, in die Schützenstraße.
In dem Haus Schmiedesberg 16 befand sich unten im Erdgeschoß der Laden, oder besser gesagt das Geschäft von Uhrmacher Schwartz. Den alten Karl Schwartz und seine Frau, die Oma Schwarz, habe ich noch als Kind kennen gelernt. Die Tochter Käthe war mit Günter Struck verheiratet, sie hatten zwei Jungen Klaus und Henning. Günter Struck war ebenfalls Uhrmacher und meistens in der Werkstatt mit den Uhren beschäftigt, seine Frau habe ich oft im Laden bedienen sehen. Klaus Struck war etwa zwei Jahre älter und Henning etwa ein Jahr älter als ich. Ich habe als Kind wenig mit ihnen gespielt, manchmal war ich bei ihnen zum Geburtstag eingeladen.
Das Gebäude Schmiedesberg 16 hatte drei Eingänge, das Geschäft erreichte man direkt von der Straße über mehrere Stufen, der rechte seitliche Eingang führte zu der Wohnung Schwartz/Struck und zu unserer bescheidenen Behausung. In den frühen Jahren hatte noch der Frisör Borpe eine Schlafstelle in der Abseite links neben unserer Kammer. Der linke seitliche Eingang hatte eine separate Zuwegung, dort wohnte die Familien Rüsch und Henkebein.
Rechts neben dem Wohngebäude stand ein großes zweigeschossiges Nebengebäude, das als Abstellschuppen genutzt wurde. Vor diesem Nebengebäude hatte mein Vater zur Straße hin in den frühen Jahren einen kleinen Schuppen aus Dachlatten (zweiter Wahl) gebaut. In diesem Holzschuppen waren das Brennholz, die Kohlen, das Moped von meinem Vater und die Fahrräder untergebracht. Meine Mutter erzählte mir, dass sie dort auch in den frühen Jahren Hühner gehalten hatten.
Später, als ich ungefähr sechs Jahre alt war, wurde dieser Holzschuppen von meinem Vater abgerissen, und größer und stabiler hinten auf dem Hof wieder aufgebaut. Bei diesem Schuppenaufbau habe ich als kleiner Junge geholfen, oder besser gesagt im Wege gestanden. In den Schuppen, sowohl im alten wie im neuen, hat meine Mutter die Wäsche auf der Leine getrocknet. Auf dem hinteren Grundstück befand sich der Hof, auf dem ich oft gespielt habe. Der Hof grenzte links an den Garten von Familie Rüsch und Henkebein, rechts an den Hof von Bolsen, nach hinten an das Grundstück von Dr. Kürff einem Frauenarzt.