Manfred Schuster verlebte seine Kindheit in Reinbek am Schmiedesberg – er kann viel darüber erzählen, aufgeschrieben hat er es in den 1990er Jahren.
„Actiones qui fieri solent. Soccessione temporum a memoria mortalium elabuntur, nisi scritto….
Handlungen die alltäglich geschehen, entfliehen mit dem Lauf der Zeit dem Gedächtnis der Menschen, wenn sie nicht aufgeschrieben werden…“
Herzog Adolf IV. von Schauenberg in einer Urkunde des Jahres 1229
Meine Kindheit am Schmiedesberg (7/8)
Jetzt kommt schon das letzte Gebäude vom Schmiedesberg auf dieser Straßenseite. Es ist das Gebäude Schmiedesberg/Ecke Schönningstedter Straße. Früher war es nur ein Wohngebäude, aus roten Ziegeln, in der Art der Backsteingotik, mit der Eingangstür zur Schönningstedter Straße. Es war eine recht schwere Eingangstür, die in ein etwas düsteres Treppenhaus führte, ein paar Stufen hoch, die erste Tür rechts, wohnte Burghard Tietz mit seinen Eltern. Burghard war ungefähr ein Jahr älter als ich, wir haben aber sehr selten zusammengespielt, er zog auch schon ziemlich früh weg zum Großen Ruhm, dort hatten sie gebaut. Er hatte sich einmal eine Pistole aus Wäscheklammern und Weckglasgummi gebaut, man konnte durch Spannen des Gummis auch damit schießen, das hat mich beeindruckt. In meiner Jugend wurden die Wohnungen im Erdgeschoß zu einer Gaststätte umgebaut, die sich dann „Napoli“ nannte. Das Erdgeschoß wurde dann außen mit hässlichen Keramikklinkern verkleidet
An dieses Eckgebäude schloss, nur durch einen Durchgang unterbrochen, in der Schönningstedter Straße, der Speicher von Elsholz an. Dieser alte Speicher steht heute nicht mehr, es war ein hohes Gebäude aus roten Mauerziegeln, oben in Dachbereich war ein kleiner Erker mit einem Flaschenzug, an dem die Säcke hochgezogen wurden. In den einzelnen Geschoßen waren Öffnungen, in die die Säcke gehievt wurden. Genau gegenüber stand ein altes Reinbeker Traditionshaus der „Gasthof zur Schmiede“, es war ein zweigeschossiges Gebäude mit hohen Geschossen und einem Mansarddach. Der Gasthof lag etwas höher als die Straße, man musste ungefähr vier Stufen hoch gehen, um in die zwei Eingänge zu kommen. Der Gasthof war gleichzeitig Hotel mit 60 Betten, geführt wurde das Ganze von Otto Timm. Rechts und links von dem Gasthof standen hohe Bäume.
Ich befinde mich mit meiner Beschreibung nicht mehr auf dem Schmiedesberg sondern an dessen Ende an der Kreuzung zu Schönningsteter Straße. Rechts neben dem Gasthof war ein Wohnhaus, das weiter nach hinten lag und einen großen Vorgarten hatte, hier standen einige hohe Bäume. Dieses und das folgende Gebäude stehen heute nicht mehr, hier stehen jetzt Wohnblöcke. Das folgende Gebäude war zweigeschossig und lag mit dem Giebel dicht an der Schönningstedter Straße, hier war das Kolonialwarengeschäft von Heick. An dieses Kolonialwarengeschäft Heick kann ich mich nicht mehr erinnern, in dem Geschäft sollen die braun-hölzernen Schubladenschränke bis unter die Decke gereicht haben. Ende 1958 zog dort die Volksbank ein, der Kassierer war Werner Heick. Am 30. Dezember 1964 war dort ein Banküberfall, wobei der Kassierer Heick erschossen wurde. Dieser Banküberfall war lange Gesprächsthema in Reinbek. Bei der Volksbank gab es als Werbegeschenke vorgedruckte Stundenpläne für die Schule, Umschläge für die Schulbücher etc. Als Kind habe ich mir diese Dinge auch immer aus der Bank geholt. Von dieser Volksbank bekam ich auch im März 1963 einen Geschenk-Gutschein über 10 DM zu meiner Konfirmation
Ich mache jetzt einen Sprung über die Straße, nach schräg links zur Schönningstedter Straße 8, hier war während meiner Kindheitsjahre die Kohlenhandlung von Hermann Nedel. In einem zweigeschossigen Wohnhaus mit Satteldach, war unten im Erdgeschoß das Kontor, wo Hermann Nedel mit seiner Mutter die Kohlenhandlung führte. Die Mutter war eine ältere, große, schlanke Frau mit weißen Haaren und immer mit einem dunklen Kleid oder dunkler Kittelschürze bekleidet. Hermann Nedel war ein gutmütiger und lustiger Mensch, er hatte meistens einen kleinen Schwips, ich habe ihn oft mit einer Bierflasche in der Hand, im Eingang zu seinem Kontor stehen sehen. Er sprach mit lustigen Bemerkungen die Leute auf der Straße an und klönte gerne. Manchmal, wenn er es zu bunt trieb und auch zu viel Bier getrunken hatte, holte seine Mutter ihn rein, aber immer in einem freundlichen Ton. Hermann hatte meistens einen Stoppelbart, und eine Bierfahne, mir sind auch seine lustigen Augen noch in guter Erinnerung, und er hatte auch für uns Kinder immer ein paar freundliche Worte. Ich glaube, seine Frau war früh gestorben, und er hatte eine Tochter, die später dann die Kohlenhandlung führte.
Rechts neben dem Wohngebäude, etwas nach hinten, fing das Kohlenlager an, das sich über das ganze Grundstück bis zu Parkallee hinzog. Von hier wurde das Kohlenlager angefahren und die Wagen mit Kohlensäcken beladen. Die Kohlenträger, mit ihren schwarzen, langen Kapuzen, die die Kohlen in die jeweilige Wohnung oder Haus trugen, gehörten damals noch viel mehr zum Stadtbild als heute, wo man sie nur noch selten sieht. Das Sinnbild des Kohlenträgers war für mich Bruno Eifert, der aber bei der Kohlenhandlung Lohmann in der Bergstraße arbeitete. Ich habe ihn manchmal zugesehen, wenn er die Kohlen mit der großen Kohlenforke in die Waage schaufelte, dann abwog, in Säcke füllte, um dann erst mal einen Schluck aus seiner Bierflasche zu nehmen. Beim Abladen der Kohlen habe ich ihn auch öfters gesehen, denn damals hatte noch fast jedes Haus und jede Wohnung einen Küchenherd und Kohlenheizung.
Bruno Eifert, genannt wurde er Eiferich, habe ich später kennengelernt, als ich in der Maurerlehre war, er war dort Arbeitsmann und Steinträger. Die Kohlenhandlung Lohmann gab es 1963, als ich anfing zu lernen, nicht mehr. Oben, über dem Kontor von Nedel, waren Wohnungen, die man von hinten über ein Treppenhaus erreichte. In einer dieser Wohnungen wohnte auch einige Zeit ein Junge, der Wilfried hieß, er war ein rechter Flegel, oft hat er mich geärgert. Einmal, als er es zu doll trieb, bin ich mit zwei anderen Kindern als Zeugen, zu seinen Eltern gegangen und habe mich über ihn beschwert. Ich hatte dann etwas Ruhe vor ihm. Dieses war auch das einzige Mal, dass ich mich in der Form beschwert habe; es gehörte für mich auch ganz schön viel Mut dazu. Jetzt wende ich meinen Blick wieder zurück in Richtung Schmiedesberg.
Schräg gegenüber von der Volksbank, rechts neben Nedel in der Schönningstedter Straße Nr. 6 steht noch heute das Haus, wo sich früher die Buchhandlung Koller befand. „Buchhandlung A. Stefanski Nfg. Ernst Koller – Reinbek Bez. Hamburg“, so steht es auf einem Aufkleber in einem Jugendbuch, das ich damals in einem Preisausschreiben des Textilhauses Hinz, Schmiedesberg Nr. 18, gewonnen hatte. Das Buch heißt „Herde im Sumpf“ und ist 1955 erschienen, es war eines meiner ersten Bücher und roch damals noch so unheimlich gut nach frisch gedrucktem Papier. In dieser Buchhandlung bin ich als kleiner Junge mindestens einmal in der Woche gewesen und habe die Radiozeitung HÖR ZU für meine Eltern gekauft. In dem Laden bedienten zwei Herren, der eine war etwas älter und klein, und er hatte einen Mecki-Haarschnitt, der andere jünger und groß, irgendwie erinnerte er mich, wenn er mich ansah, an eine Eule; ich weiß nicht warum, ich meine es lag an seinem Blick und seiner Brille.
In dieser Buchhandlung haben meine Mutter und ich auch die für die Schule erforderlichen Sachen gekauft. Einmal, als ich ungefähr fünf Jahre alt war, hatte ich die 50 Pf., mit denen ich die HÖR ZU kaufen sollte, auf dem Weg zu Buchhandlung verloren. Ich habe lange so gesucht bis es dunkel wurde und geheult habe ich, aber das Geld war weg. Eine ältere Frau, für mich damals eine Oma, hatte Erbarmen mit mir, und versuchte mich zu trösten. Ich hatte Angst, ohne die Radiozeitung nachhause zu gehen. Durch mein klägliches Weinen blieb dann noch ein Mann stehen und wollte wissen, was passiert war. Am Ende bekam ich von dem Mann die 50 Pf. geschenkt, aber der Bücherladen hatte mittlerweile geschlossen. Ich erinnere mich ungern an diese Geschichte, denn ich habe sehr gelitten.
In dem Haus ist heute eine Goldschmiedewerkstatt und eine Agentur für Angelreisen. Im Obergeschoß sind Wohnungen. Rechts neben dem Buchladen, in ca. einem Meter Abstand, lag, die Gaststätte „Zur Linde“; diese Gaststätte existiert heute noch. Der Name kommt von der Linde, die auf einer Verkehrsinsel steht, in der Einmündung des Schmiedesberges in die Schönningstedter Straße. In dieser Gaststätte bin ich sehr selten gewesen, als Kind höchstens zweimal, als mein Vater dort Bier getrunken hat. Später als Jugendlicher war ich auch nur ein paar Mal dort. Über dem Eingang befindet sich ein großer, brauner Hirschkopf mit Geweih. Vor dem Eingang ist ein Gitter mit dem Reinbecker Stadtwappen. Als Jugendlicher war ich mit Klaus Scherer und zwei Mädchen mal dort drin; Klaus hatte in der Musikbox ein paar Schlager gedrückt und wollte etwas tanzen, Platz war genug da, der Wirt meckerte herum und untersagte das Tanzen. Seitdem bin ich nicht mehr dort gewesen.