Manfred Schuster verlebte seine Kindheit in Reinbek am Schmiedesberg – er kann viel darüber erzählen, aufgeschrieben hat er es in den 1990er Jahren.
„Actiones qui fieri solent. Soccessione temporum a memoria mortalium elabuntur, nisi scritto….
Handlungen die alltäglich geschehen, entfliehen mit dem Lauf der Zeit dem Gedächtnis der Menschen, wenn sie nicht aufgeschrieben werden…“
Herzog Adolf IV. von Schauenberg in einer Urkunde des Jahres 1229
Meine Kindheit am Schmiedesberg (8/8)
Als kleiner Junge hat mich die Bierwerbung die draußen am Gasthof „Zur Linde“ – Schönningstedter Straße 4 – angebracht war, immer beeindruckt,; sie war knallrot und rund, in der Mitte war ein Ritter auf einem Pferd. Rechts neben der Gaststätte, war gleich im Anschluss die Drogerie von Heinrich Klimmek, Schmiedesberg 2. Die Klimmeks waren nette Leute, die Frau war blond und von der Körperstatur etwas mollig, Herr Klimmek hatte ein volles Gesicht, rote Wangen und links gescheitelte glatte Haare. Er war immer freundlich, auch zu uns Kindern. Wenn er sprach, verhaspelte er sich manchmal etwas, denn er sprach etwas schnell. Wir haben regelmäßig dort eingekauft. Die Kassenbons mussten immer aufgehoben werden, denn die wurden wegen des Rabattes gesammelt. Hatte man so an die 100 DM an Kassenbons zusammen, konnte man in die Drogerie gehen und bekam 3 DM dafür, d. h. es gab 3 % Rabatt. Ich habe als Kind immer darauf geachtet, dass bloß kein Kassenbon verloren ging. In anderen Läden gab es oft Rabattmarken, die aussahen wie kleine Briefmarken und in ein Rabattmarkenheft geklebt werden mussten. Die Rabattmarken waren nach Werten gestaffelt, so gab es für 10 DM eine etwas größere rote Marke, für 5 DM eine blaue, etwas kleinere Marken für 1 DM und 10 Pf.. Die 10 Pf. Marken waren die Kleinsten, und ich meine sie waren grün.
Über der Drogerie wohnte ein etwas älterer Junge, er hieß Karl-Heinz Sanmann; er hatte ein etwas sonderbares Benehmen und seine Redensart war auch von einer besonderen Note. Ich habe mich als Kind öfters mit ihm unterhalten, manchmal war Olaf auch dabei. Die Dialoge, bzw. die Unterhaltung, waren immer lustig und erfrischend, zumal seine Mimik auch von ganz besonderer Art war. Heute ist ein Angelgeschäft in der ehemaligen Drogerie.
Zwischen der Drogerie Klimmek und der Bäckerei Vollrath, führt ein breiter Weg vom Schmiedesberg zur Parkallee in die Wildkoppel. Dieser Weg war nicht befestigt, aber von beiden Seiten mit Beeten und Büschen gärtnerisch angelegt. Wie dieser Weg eigentlich heißt, das wusste ich bisher nicht, ich dachte, er hätte gar keinen Namen. Heute war ich beim Opel-Händler Dobberkau, wo Olaf Schlünsen als Autoverkäufer arbeitet, und wir sprachen über diesen, nach meiner Meinung namenlosen Weg. Er meinte, dass dieser Weg „Schwarzer Weg“ heißt. Ludwig Schlünsen nannte ihn die Hundekötelallee, weil viele Leute mit ihren Hunden dort spazieren gingen, und überall Hundekötel zu finden waren. Am Anfang dieses Weges in der Mitte, steht damals wie heute, ein Begrenzungspfeiler aus Granit, der dazu diente, dass keine Autos vom Schmiedesberg in diesen breiten Weg fahren können. Diesen Steinpfeiler kenne ich schon seit meiner frühesten Jugend. Er ist rund, ca. einen Meter hoch, oben zu einer Halbkugel abgerundet, und in der Mitte oben ist ein rundes Loch, mit ca. 5 cm Durchmesser und ca. 5 cm Tiefe. Ich weiß nicht, wie oft ich um diesen Pfeiler gerannt bin, seit ich laufen kann. Wie oft habe ich Sand in das Loch oben rein gefüllt; das war besonders interessant, wenn es geregnet hatte und das Wasser im Loch stand.
Eine Telefonzelle, gleich rechts am Anfang des Weges, stand damals auch schon da. Von diesem Weg ging ein Zugang zur Bäckerei Vollrath, etwas weiter runter steht das Haus von dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Walter, das sowohl einen Zugang von diesem Weg und von der Parkallee hat. Mit dem Sohn von Dr. Walter, Wolfgang, bin ich von der 1.bis 4. Klasse zur Schule gegangen. Wolfgang Walter hatte noch eine Schwester, die ein paar Jahre älter war, ich fand dieses Mädchen damals sehr hübsch. Die Mutter kaufte öfters bei Schlünsen ein, und erzählte gerne. Dr. Walter ist mir nicht mehr in Erinnerung, ich war als kleiner Junge wohl ein oder zwei Mal in der Praxis. Auf der anderen Seite des Weges, hinter dem Haus von Klimmek, war ein großer Garten, der von Otto Timm (Gasthof zur Schmiede) bewirtschaftet wurde.
Ich komme jetzt zur Bäckerei Vollrath, Schmiedesberg 20. Diese Bäckerei ist heute immer noch da. In meiner Kindheit haben wir dort öfters eingekauft. Frau Vollrath stand meisten hinter dem Verkaufstresen. Es gab dort immer schöne, knusprige Brötchen. Kuchen haben wir dort wenig gekauft, weil meine Mutter immer selber gebacken hat; aber sonntags haben wir von dort oft Schlagsahne für den Kuchen geholt. Die Schlagsahne wurde frisch geschlagen, ich bin als Junge so manches Mal mit einer Glasschüssel hingegangen und habe welche geholt; die Schlagsahne schmeckte so köstlich. Hatte man keine Glasschüssel mit, kam die Sahne in eine Pappschüssel und wurde mit Papier eingepackt, ich habe diese Pappschüsseln und das Papier so gründlich abgeleckt, dass auch nicht der geringste Rest von der Sahne verloren ging. In der Zeit, als wir auf dem Schmiedesberg gewohnt haben, hatten wir natürlich noch keinen Kühlschrank, und ein Mixgerät zum Sahne schlagen gab es auch nicht. Die meisten Leute gingen eben sonntags zum Bäcker und holten Schlagsahne. Draußen vor der Bäckerei stand in den frühen Jahren ein kleiner Automat, aus dem man Bohnenkaffee in Tüten bekam. Ich meine, es mussten 50 Pf. reingesteckt werden, und man konnte mittels einer kleinen Schublade die Kaffeepulvertüte herausnehmen. Ich habe öfters diese Tüten geholt, denn normalerweise gab es nur Kaffeeersatz zum Trinken.
Hier ein paar kurze Bemerkungen zu Kaffeeersatz: Der Kaffeeersatz war in einer rechteckigen Pappschachtel und nannte sich Bornisto; in diesen Bornisto-Schachteln waren immer kleine, weiße Figuren für die Kinder. Ich hatte eine kleine Sammlung von Tieren, Bäumen, Blumenvasen etc. Gute Butter und Bohnenkaffee gab es in den frühen Jahren nur an besonderen Tagen.
Rechts neben dem Bäckerladen waren Wohnungen mit einem Treppenhaus und eine Zufahrt. Zu den Leuten, die dort im Haus wohnten, kann ich nicht viel berichten, ich hatte mit denen kaum Berührungspunkte. Es wohnte dort eine Frau Schmitt, die im Rathaus beim Wohnungsamt arbeitete. Meine Mutter hatte keine so gute Meinung von ihr und zwar aus folgendem Grund: Anfang und Mitte der 50er Jahre herrschte große Wohnungsnot, in Hamburg waren während des Krieges durch die Bombenangriffe viele Wohnungen vernichtet und beschädigt worden, dazu kamen die Flüchtlinge aus dem Osten, die auch Wohnraum suchten. Die Flüchtlinge wurden durch Zwangsbelegung auf die vorhandenen Häuser und Wohnungen verteilt, oder kamen in ein Flüchtlingslager. Das Zimmer und die Abseite, welche wir am Schmiedesberg 16 bewohnten, war auch durch Zwangsbelegung zugewiesen worden. Meine Eltern suchten nun eine größere Wohnung, zumal wir beiden Kinder dazu gekommen waren, also musste meine Mutter zum Wohnungsamt, wo Frau Schmitt saß. Es waren natürlich nie Wohnungen frei, und Frau Schmitt soll dann gesagt haben: „Wer nimmt denn Leute mit zwei kleinen Kindern auf?“ Ich habe diesen Satz als kleiner Junge öfters von meiner Mutter gehört.
Ich gehe jetzt ein Haus weiter nach rechts zum Schmiedesberg 18, das ist ungefähr auf der gleichen Höhe, von der ehemaligen Schlachterei Troll, nur auf der anderen Straßenseite. Hier ist heute noch das Textilhaus Hinz im Erdgeschoß. Das Gebäude ist zweigeschossig mit ausgebautem Walmdach, die Fassade besteht aus dunkelroten Klinkermauerwerk mit weißen Fugen. Im Erdgeschoß sind rechts zwei Schaufenster und links ist ein Schaufenster, dazwischen liegt der Eingang zum Textilhaus Hinz. Vor dem Eingang befinden sich drei Stufen. Die Schaufenster erscheinen nach den heutigen Vorstellungen etwas klein, das ganze Textilgeschäft mutet an, wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, aber es hat sich bis heute gehalten. Wir haben früher des Öfteren dort gekauft. Die Eheleute Hinz waren ein harmonisches Ehepaar, die Frau klein, schlank und blond, der Mann groß und eine stattliche Erscheinung, die Haare glatt nach hinten gekämmt. Sie hatten zwei Töchter, die eine war etwas älter als ich, die zweite war so alt wie meine Schwester, beide Töchter waren blond. Das Textilgeschäft war in meiner frühen Jugend noch etwas kleiner, denn links vom Eingang, im Bereich des linken Schaufensters, befand sich ein Herren-Frisör. Der Friseur hieß Lübbers, er war ein eher unscheinbarer Mann, etwas klein, mit glattem, gescheiteltem, blondem Haar. Der Friseursalon war ein in der Größe bescheidener Raum, links das Schaufenster, rechts standen die Stühle an der Wand, für die wartenden Kunden. Die Kunden, das waren aus meiner kindlichen Sicht, meist ältere Männer. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie viele Frisierstühle er hatte, ob es zwei oder drei waren. In der damaligen Zeit waren Trockenhaarschnitte üblich, ich kann mich an Nasshaarschnitte kaum erinnern. Bei Lübbers wurden auch mir zum ersten Mal die Haare geschnitten, er hatte extra einen Hochstuhl für Kinder, durch Drehen konnte er die Höhe des Stuhles verändern.
Friseure erzählen gerne, das Lieblingsthema von Lübbers war das Angeln. An der Längswand, rechts oben, neben den Frisierspiegeln, hing ein präparierter Kopf eines Hechtes, das Maul war etwas offen, so dass man die spitzen, leicht nach hinten gebogenen Zähne sehen konnte. Besonders hübsch fand ich diesen Fischkopf nicht, ich habe auch in späteren Jahren nie eine Vorliebe für das Angeln entwickelt. Das Besondere an diesem Gebäude war, dass man dort herum gehen kann. Hinten befindet sich der Eingang zu den Wohnungen und zum Zahnarzt. Um hinten in das Treppenhaus zu gelangen, muss man erst zwei Stufen runter gehen. Im zweiten Geschoß war der Zahnarzt Rust mit seiner Praxis.