Wie bereitete man sich auf die britische Besatzung vor? Dieser Frage nähert sich Eckart Bünning, der Gespräche mit Reinbekern über ihre Erlebnisse in den letzten Kriegstagen und der ersten Nachkriegszeit führte. Sie erzählen von einer Vergangenheitsbewältigung im Schnelldurchgang:
Als die deutschen Truppen abgezogen waren, versuchte man, alle Hinweise auf die NS-Zeit zu vernichten. Persönliche Unterlagen wie Parteibücher, Urkunden, Fahnen und alles Belastende wurden verbrannt oder anderweitig vernichtet, Hakenkreuze und Abzeichen wurden von den Uniformen abgetrennt oder alles eingegraben. Gerüchte machten die Runde, Schmuck und Wertsachen versteckte man oder vergrub sie.
Käthe war als BdM-Mädel (Bund deutscher Mädchen in der Hitlerjugend) beauftragt, das Beitragsgeld einzuziehen. Sie gab die entsprechenden Beitragsmarken für das Mitgliedsbuch aus und hatte mit übergeordneten Stellen abzurechnen.
Als sich das Kriegsende abzeichnete, wollte die 17-Jährige die in ihrem Besitz befindlichen BdM-Unterlagen, wie Beitragslisten, Marken u.a., ordnungsgemäß im Parteibüro in der Schönningstedter Straße 8 (später Kohlenhändler Nedel) abrechnen und zurückgeben. Einige Parteigenossen waren gerade dabei, eventuell belastende Unterlagen zu beseitigen. Sie hatten für ihr Anliegen überhaupt kein Verständnis und schickten sie wieder fort.
Dann kamen die Engländer nach Reinbek. Mit kleineren, oben offene Panzerwagen und andern Militärfahrzeugen rückten sie, ohne auf Widerstand zu treffen, von Wohltorf kommend durch die Wohltorfer Straße und von Wentorf über die Schlossstraße nach Reinbek ein.
Bürgermeister Claußen soll vor die Haustür eines besonderen Fanatikers zwei Gemeindearbeiter gestellt haben, die verhindern sollten, dass noch eine Panzerfaust auf die einrückenden Engländer abgeschossen würde. Das hätte für Reinbek einen Vergeltungsschlag mit vielen Zerstörungen und Opfern bedeutet.
Adolph, 1937 geboren, erlebte die ersten Engländer im Elternhaus. Die Familie saß nachmittags bei einer Tasse Muckefuck im Wohnzimmer. Die Stimmung war gedrückt, niemand wusste was kommt. „Dann waren sie da, ein offener englischer Panzer mit einer großen Antenne hielt unserm Haus gegenüber in der Bahnhofstraße. Ein Offizier stieg aus und kam auf unser Haus zu, klopfte, trat ein und sagte ‘Sorry’, dies Wort hat sich mir, damals knapp 8 Jahre alt, fest eingeprägt, und er sagte weiter, dass sie die linke Haushälfte für sich benötigten, wir könnten wohnen bleiben. Der Panzer fuhr auf unsern Hof und stellte sich vor das an der Ausfahrt gelegene Fenster. Die Engländer hängten kurzerhand das Fenster aus und hatten nun direkten Kontakt vom Zimmer aus mit der Panzerbesatzung und den Funkgeräten. Vom Panzer wird über Funk Verbindung zu weiteren Einheiten bestanden haben. Unser Büro war wohl die erste englische Befehlsstelle in Reinbek.“
Louise, Jahrgang 1915, wohnte am Rosenplatz. Dort waren englische Panzer aufgefahren. Die Soldaten kamen in die Häuser und erbaten sich warmes Wasser, um sich bei ihren Fahrzeugen waschen und rasieren zu können. Sie gaben dafür bereitwillig Schokolade, Tee und andere Lebensmittel. Jörn, Jahrgang 1936, erinnert sich auch an die offenen Panzer, die von den Kindern bestaunt wurden, und an die Schokolade, die sie von den Soldaten gelegentlich bekamen.
Man traute sich nicht auf die Straße. Eine eigentliche Ausgangssperre bestand zunächst nicht. Die englischen Soldaten kamen zu zweit in die Häuser und durchsuchten sie nach versteckten Nazis, nach deutschen Soldaten und nach Waffen.
Bald wurden Plakate mit Bekanntmachungen der Militärregierung ausgehängt. Zunächst war generelle Ausgangssperre, dann galt nur nachts von 19 bis 6 Uhr in der Frühe die so genannte Sperrstunde. Niemand durfte sich zur Sperrzeit auf der Straße aufhalten.
Auf Anordnung der Militärregierung durften Briefe und Karten nur noch in lateinischer Schrift abgefasst werden. Die Post wurde zensiert, und die deutsche Schrift konnten die Briten nicht lesen. Alle NS-Embleme von den Briefbögen mussten entfernt sein.
Mit der Besetzung wurden auch die Zwangsarbeiter im Lager Wiesenfeld befreit. Ein paar Tage später zog ein Trupp ehemaliger Zwangsarbeiter durch die Schulstraße. Mit Handgranaten und Schusswaffen ausgerüstet suchten sie einen leitenden Angestellten des Kurbelwellenwerkes, um sich an ihn zu rächen. Er hatte sie wohl zu sehr schikaniert. Nun war er aber schon ausgeflogen.
Bei Fuhrmann Niemann in der Bahnhofstraße hatten französische Kriegsgefangene gearbeitet. Sie hatten sich im Schuppen ein verstecktes Lager mit einigen Lebensmitteln und Kleidungsstücken angelegt. Nach Kriegsende holten sich die Franzosen ihre Sachen aus ihrem geheimen Versteck, um sie mit nach Hause zu nehmen.
Hannchen Timm, ehemals Gasthof „Zur Schmiede“, erinnert sich an die Zeit: „Die Engländer rückten ein. Panzer standen in der Schönningstedter Straße bis zum Rosenplatz, als Emmi Voß von der Gemeindeverwaltung kam und sagte, dass die Engländer die ‘Schmiede’ besetzen wollten und im Haus nichts verändert werden dürfe.“
Durch die Tätigkeit ihres Mannes als Schiffsstewart konnte er perfekt Englisch sprechen und konnte erreichen, dass die Timms zunächst in einigen der oberen Räume wohnen durften.
Die Engländer richteten in der Gaststätte eine Messe ein. Sie holten die Timms oft zur Hilfe, wenn etwas nicht klappte. Sie konnten z.B. kein Bierfass an die Leitung anschließen und kamen auch mit dem Küchenherd, der mit Steinkohlen beheizt wurde, nicht so recht klar. So waren die Timms bald im Hause unentbehrlich. Das Haus reichte den Engländern bald nicht mehr aus. Nun wurde das Lokal von Nagel, Schmiedesberg 2, beschlagnahmt.