Tanz und Theater inmitten einer Trümmerlandschaft. Asta Bünning erzählt aus der unmittelbaren Nachkriegszeit:
„Seit Mai 1945 war der Krieg beendet und die Bedrohung aus der Luft oder eine näher rückende Front waren vorbei. „Der Engländer“ war da und man hatte sich an seine Anwesenheit gewöhnt. Es herrschte totale Mangelwirtschaft und der tägliche Überlebenskampf war nicht einfach. Für Millionen Menschen aus dem Osten und viele Ausgebombte musste Wohnraum bereitgestellt werden.
Ich arbeitete damals in Glinde. Für mich Alleinstehende habe ich es nicht so schwierig gefunden, irgendwie fand sich immer ein Weg, um durchzukommen. Silvester 1945 lernte ich meinen heutigen Mann kennen, der an diesem Tag von den Soldaten nach Hause kam.
Wir waren jung und wollten etwas erleben. Wir wohnten in Glinde. In den Gaststätten auf den Sälen spielte Musik und es wurde getanzt. Wein oder Bier gab es nicht; Heißgetränk, heißes Wasser mit einem Schuss aromatisiertem und gefärbtem Sirup, wurde ausgeschenkt. Im Sommer wurde es mit kaltem Wasser als Limonade verkauft, gelb oder rot konnte man wählen. Wir waren häufig, eigentlich jeden Sonntag, bei Behn oder Eggers in Oststeinbek auf dem Saal. Für die Nacht hatte die Militärregierung Sperrstunde angeordnet. Ab 21 Uhr, im Sommer 22 Uhr, durfte niemand mehr auf der Straße sein. Wer von einer englischen Militärstreife erwischt wurde, verbrachte die Nacht in einer Zelle. Außer den englischen Militärfahrzeugen fuhren kaum Autos. Wenn wir auf einem späten Nachhauseweg ein Fahrzeug hörten, versteckten wir uns in einem Garten hinter einem Busch oder hinter einem Knick. Wir kannten aber auch Feldwege und konnten den Streifen aus dem Wege gehen.
Meine Schwägerin erzählte, als die Tanzveranstaltungen nach dem Kriege begannen, haben englische Soldaten, die in Wentorf stationiert waren, die Tanzerei durch Randale gestört. Es ging nie ohne Klopperei ab. Besonders Jägersbronnen und andere Wentorfer Lokale waren dafür bekannt und berüchtigt. Wegen der weiten Nachhausewege nach Glinde mussten wir rechtzeitig die Tanzveranstaltungen verlassen, da auch hier um 21 Uhr, später 22 Uhr, Sperrstunde war und keine Deutschen sich mehr auf der Straße aufhalten durften. Wer geschnappt wurde, musste die Nacht in englischem Gewahrsam verbringen.
Wir suchten auch andere Abwechslung. Ein Glinder, der arbeitslos geworden war, befasste sich mit dem Verkauf von Theaterkarten für Hamburger Theater. Es gab tatsächlich welche gegen ein paar Zigaretten oder andere knappe Dinge oder auch nur aus Freundschaft. Beschwerlich war für uns der Weg nach Hamburg. Ein Bus fuhr nicht an Feiertagen, zuerst auch die Straßenbahn von Billstedt nach Hamburg noch nicht. Wir gingen zu Fuß von Glinde zum Theater am Besenbinderhof. Von Billstedt aus ging es nur durch eine einzige Trümmerlandschaft [über 20 km].
Im Besenbinderhof spielte das Schauspielhaus. ‘Liliom’ von Franz Molnar war unser erstes Theaterstück am 2. Ostertag 1946. Gustav Knuth, Gisela von Collande, Fritz Schröder-Jahn sind nur einige der Schauspieler, die später sehr bekannt wurden.
Theaterkarten bekamen wir häufiger. Nach einiger Zeit fuhren dann auch sonntags die Straßenbahnen von Billstedt aus wieder. Dann war unser Fußweg nur bis Billstedt. Mitunter ergab es sich, dass auch die Tochter eines Bauern aus der Nachbarschaft mit uns ins Theater ging, dann fuhr ihr Vater uns alle mit dem Pferdewagen bis Billstedt und holte uns manchmal auch abends wieder ab.
Die Hamburger Theater waren alle durch Fliegerangriffe beschädigt oder zerstört und führten ihren Spielbetrieb in Ersatzräumen durch. Die Aufführungen durften nur mit Genehmigung der Militärbehörde erfolgen. Die Programmzettel hatten wegen der Papierknappheit oft nur Postkartenformat. Das Schauspielhaus spielte in den Gesellschaftsräumen am Besenbinderhof. Das Thalia-Theater spielte in der Schlankreye, im Flora-Theater am Schulterblatt und im Operettenhaus in der Caspar-Voght-Straße wurden überwiegend Operetten gegeben, auch im Zeltbau Hagenbeck auf der Moorweide spielte man leichte Kost, während in den Landungsbrücken auf der Bunten Bühne Kabarett geboten wurde.
Wir konnten in diesen schweren Jahren viele Vorstellungen besuchen, lernten Schauspieler kennen, die wir in späteren Jahren als Berühmtheiten auf der Bühne wieder erlebten. Mit der Währungsreform 1948 schränkten wir den Theaterbesuch sehr ein. Man konnte nun etwas kaufen und wir mussten auf einen Hausstand sparen: Wir wollten bald heiraten.“