Prahlsdorf und der Schützenhof – das gehört zusammen. Otto-H. Harders erklärt warum:
Prahlsdorf hat seinen Namen von dem Grundbesitzer und Gastwirt Prahl aus Ohe. Seine neue Gaststätte nannte der Wirt aus gutem Grund „Schützenhof“: Westlich der Straße bzw. des Weges errichtete er einen Schießstand. Eine Landkarte von 1880 teilt uns mit, dass die Schießbahn von Ost nach West ausgerichtet war und 100 m lang war. Der Reinbeker Schützenclub hatte hier sein Domizil. Sicher wurde er vom Wirt gesponsert. Der Club bestand bis etwa gegen 1900, dann vereinigte er sich mit dem Reinbeker Schützenverein, der schon damals seinen Schießstand in der Loddenallee hatte. Auf dem Schießplatzgelände entstanden der Kolonialwarenladen Kröger und der Zimmerplatz Sanmann.
Die Landkarte von 1880 und die folgenden zeigen aber auch noch etwas anderes: Beiderseits der Schönningstedter Straße, soweit eben das Prahlsche Gelände reichte, entstanden Arbeiterkaten und einfache Wohnhäuser. Prahlsdorf war im Entstehen! Die Bewohner lebten überwiegend in bescheidenen Verhältnissen. Schon sehr früh wird davon berichtet, dass die Prahlsdorfer ein recht rauher und auch schlagfertiger Menschenschlag waren. Die Kinder bildeten da keine Ausnahme. Ein Beschwerdebrief des Schönningstedter Schulmeisters an den Reinbeker Amtsvorsteher aus dem Jahre 1894 macht das deutlich:
An den
Herrn komiss. Amtsvorsteher
Hochwohlgeborenen
Reinbek
Es ist mir wiederholt von Leuten hier mitgeteilt, daß ihre Kinder, wenn sie sie nach Reinbek schicken, von der Straßenjugend in dem oberen Teil des Dorfes (Prahlsdorf) in grober Weise belästigt, geschlagen und gestoßen werden, und daß kein Kind gerne nach Reinbek geht, um nicht den Exzessen dieser zügellosen Gesellschaft ausgesetzt zu sein. Daß diese Klagen, die mit Recht erhoben und auch nicht jüngeren Datums sind, in Wirklichkeit ihren Grund haben, habe ich selbst erfahren. Ich habe gesehen, wie die Kinder hinter erwachsenen Damen hinterher schimpften, und meine eigenen Kinder haben oft darüber geklagt, daß sie nicht unbehelligt vorbei kommen können, sondern geschlagen und geworfen werden.
Es ist angebracht, dass hier eine gründliche Straßensäuberung vorgenommen wird, um dieses schandbare, aller guten Sitte und Ordnung Hohn sprechende Gebaren der Straßenjugend auszurotten.
Ich habe nicht verfehlt, Eurer Hochwohlgeborenen dies mitzuteilen und hege auch das Vertrauen, daß Ihr Einfluß eine gründliche Änderung herbeiführt, daß wir nicht nötig haben, eine höhere Instanz um Beistand zu bitten.
Ich habe die Ehre zu sein Eurer Hochwohlgeborenen ganz ergebener
Ramm, Lehrer.
Wer über den Schützenhof spricht, muss aber auch die „Schweinegilde“ nennen, den Schweineversicherungsverein für Reinbek und Umgebung. Zum Zubehör fast einer jeden Wohnung gehörte ein Schweinestall, meist in einem Anbau. Ein Schwein fettzumachen war nicht billig: Das Ferkel, die Futterkartoffeln, das Mehl, das Stroh zum Streuen, der Hausschlachter, Därme, Salz und Gewürze zum Wurstmachen, die Räucherkate, das alles kostete Geld, und die eigene Arbeit durfte man sowieso nicht rechnen. Jedes Schwein war also eine Art Sparkasse, und dieses Vermögen versicherte man eben in der Schweinegilde. Schweine füttern und ausmisten gehörte zum normalen Tagesablauf der meisten Familien. Der „Schweineball“, das Jahresfest der Schweinegilde – natürlich fand es im Schützenhof statt – hatte einen sagenhaften Ruf. Mancher ging nur einmal im Jahre aus, eben zum „Schweineball“. Schnaps und Bier flossen in Strömen, und bei solcher Gelegenheit wurden Nachbarschaftsstreitigkeiten auch gleich mal handgreiflich geregelt. Eine Tombola gab es natürlich auch, und der l. Preis war – na, was wohl? – es waren zwei Ferkel! Selbstverständlich gab es im Schützenhof noch weitere Vereine. Von überörtlicher Bedeutung war der Arbeiter-Radfahr-Verein „Solidarität“ mit seiner Saalsportabteilung, also mit Radballern und Kunstradfahrern.
Politisch gesehen war Prahlsdorf durchgehend „rot“, und niemand versteckte seine Gesinnung. Herbert Rathmann hat in seinen Erinnerungen beschrieben, wie sich zum 1. Mai organisierte Arbeiter im Schützenhof versammelten. Schon zur Kaiserzeit soll hier gelegentlich die Republik ausgerufen worden sein, und in der Weimarer Zeit mussten einige Prahlsdorfer nach Gollnow in Festungshaft.