Viele Menschen verloren im Zweiten Weltkrieg alles: Angehörige, Freunde, Haus und Hof. Regina Litzba erzählt die Geschichte der „Roten Siedlung“ in Neuschönningstedt, in der Flüchtlinge eine neue Heimat finden konnten.
In den Jahren 1945/1946 stiegen die Einwohnerzahlen in den westlichen deutschen Bundesländern enorm an, so auch in Schleswig-Holstein. Der Grund waren Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus dem deutschen Osten, heute polnisches und russisches Gebiet.
So war es auch in der Gemeinde Schönningstedt und den dazugehörigen Ortsteilen mit ihren knapp 1000 Einwohnern. Schon Ende des Krieges waren viele Ausgebombte aus Hamburg in der Gemeinde untergebracht worden. Nun trafen noch etwa 3500 Menschen mit völlig leeren Händen ein. Es kam zu außerordentlich beengten Wohnverhältnissen. Teilweise „wohnten“ fünf- und mehrköpfige Familien in einem einzigen Raum von kaum mehr als 11 qm Größe. Es musste dringend Abhilfe geschaffen werden.
Deshalb erarbeiteten Einheimische und aktive Neubürger ein Konzept für neue Ansiedlungsmöglichkeiten. Die meisten Neubürger aus dem Osten Deutschlands waren in der alten Heimat Bauern gewesen oder waren deren Kinder, andere hatten in der Landwirtschaft gearbeitet. Für Siedlungshäuser mit einer Nebenerwerbslandwirtschaft bot sich besonders Neuschönningstedt an.
Diesen Ortsteil gibt es seit 1912. Zuvor wurde dieses Gebiet als „Haidkrug“ bezeichnet, gelegen an der Kreuzung zweier wichtiger Straßen – der Möllner Landstraße (früher Mecklenburger Straße) und der Straßenverbindung nach Ahrensburg (Haidkrug Chaussee, Stemwarder Straße). So wurde der Winkel Möllner Landstraße/ Haidkrug Chaussee soweit parzelliert, wie neue Häuser benötigt wurden.
Bereits im Juli 1950 konnten die ersten Häuser am Rosenweg/ Kirschenweg bezogen werden, die „Weiße Siedlung“, wegen des weißen Putzes der Häuser so genannt. Im Jahre 1954 wurde dann auf dem Flurstück „Op den Stüben“ und am Oher Weg mit dem Bau von 10 Doppelhäusern und 41 Einfamilienhäusern begonnen.
Wer durfte nun so ein Grundstück erwerben? Bedingung war, dass die Bewerber in der Land- oder Forstwirtschaft tätig gewesen waren oder noch darin arbeiteten. Mit einem Kostenaufwand von 20.000 DM – mit Hilfe eines Kredites oder durch den Lastenausgleich, aber größtenteils durch Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe – konnte ein Eigenheim erworben werden. Unter den Bewerbern waren rund 90% aus der Gemeinde Schönningstedt und 10% aus dem übrigen Kreis Stormarn.
Um die zehn Doppelhäuser bewarben sich Arbeiter des Gutes Schönau. Wegen der großen Anzahl der Bewerber wurden diese Grundstücke verlost. Jeder bekam einen Morgen Land, aufgeteilt in zwei Hälften: eine lag am Haus, die zweite Hälfte war Pachtland auf zehn Jahre, also bis 1964, und lag vor den Oher Tannen im Winkel Haidkrug Chaussee / Möllner Landstraße. Das Land am Haus diente vorwiegend als Nutzgarten mit Obstbäumen, das Pachtland zum Anbau von Gemüse usw. für die Selbstversorgung und für das nötige Futter für das Kleinvieh. Ein oder zwei Schweine, dazu Hühner, Enten, Kaninchen, manchmal Puten oder eine Ziege wurden am Haus gehalten. Nutztierhaltung war aber keine Bedingung.
Die Bauweise der Häuser war gleich. Alle Häuser mussten im gleichen Abstand von der Straße mit dem Giebel dorthin, in rotem Klinker gebaut und mit roten Dachpfannen gedeckt werden. So entstand der Name „Rote Siedlung“. Es gibt auch noch eine „Schwarze Siedlung“ am Oher Weg. Hier sind die Häuser mit schwarzen Dachpfannen gedeckt.
Die Doppelhäuser hatten das gleiche Aussehen, standen aber mit der Breitseite am Kopf des U-förmig angelegten Siedlungsbereichs. Eine weitere Bedingung war, dass alle Häuser oben eine Einliegerwohnung haben mussten, die auch vermietet wurde. Meist wohnten dort die Eltern oder Schwiegereltern des Bauherrn.
Es waren schlichte, einfache Bauten, die innen zwar individuell gestaltet werden konnten, aber unter heutiger Betrachtungsweise sehr primitiv waren. Der nur mit Estrich ausgestattete Fußboden konnte mit Linoleum oder Terrazzo belegt werden, oftmals wurde auch schlichtes Holz gewählt. Außerdem gab es im Anbau auch noch das altbewährte Plumpsklo, dessen Eimer von Zeit zu Zeit auf dem nahen Land ausgekippt wurde. In der Waschküche stand ein gemauerter Waschkessel, der bei Bedarf befeuert werden musste. Dieser wurde um die Weihnachtszeit meist umfunktioniert. Dann nämlich war Schlachtfest angesagt. Der Bauer Georg Abt (seine Ländereien waren das heutige bebaute Gebiet Lindenallee – Eichenallee – Grenzweg – Am Heideweg) war dann als Hausschlachter gefragt. Und im Waschkessel brodelten dann Würste und anderes zum Haltbar-machen für die Wintermonate.
So ganz allmählich begannen sich die Bewohner in ihrem kleinen, aber eigenen neuen Heim wohlzufühlen. Nach und nach konnten auch die Inneneinrichtung und die nötigen Gebrauchsgegenstände ergänzt und so eine anheimelnde Atmosphäre geschaffen werden, die dann vielleicht ein wenig an die Zeit in der alten Heimat erinnerte. Das nötige Geld dafür verdienten sich die neuen Grundbesitzer vorwiegend durch Arbeit im Heereszeugamt Glinde, das damals noch den Briten unterstand, in einer Korkfabrik, die später abgerissen wurde oder in Handwerksberufen und als Landarbeiter.
Heute erinnert fast nichts mehr an diese Anfangsjahre. Das Gesicht der Siedlung hat sich durch Um- und Anbauten der Häuser und durch die Teilung der Grundstücke sehr verändert. Bei Neubauten wird aber immer noch auf die „richtige“ Farbe geachtet, damit die „rote“ Siedlung ein wenig von ihrem Charakter bewahrt.