Der eigene Garten konnte die Besitzer ernähren, er verursachte aber auch viel Arbeit. Gudrun Schmidt erzählt von der Anbau, Ernte und Lagerung der Köstlichkeiten aus heimischen Anbau:
„Im Garten gab es vor allem Arbeit, aber er bot auch viele Köstlichkeiten. Es waren nicht nur die Beeren: Stachelbeeren, gelb oder rot, Johannesbeeren, von denen ich nur die schwarzen nicht ausstehen konnte, oder die Äpfel, Birnen, Pflaumen, an denen wir uns satt essen duften). Auch frisches Gemüse war nicht zu verachten: zarte junge Radieschen, Rettiche (Eiszapfen, nannten wir sie), junge Möhren und ganz besonders liebte ich die ganz jungen Erbsen. Da wurde auch die Hülle mit gegessen, nachdem die pergamentartige innere Schale abgezogen war – ein Hochgenuss! Dass wir nicht nur essen durften, sondern auch pflücken oder ernten mussten, verstand sich von selbst. Aber hungrig gingen wir nie aus Großmutters Garten nach Hause und für die Verarbeitung zu Hause blieb auch immer noch reichlich übrig.
Nach dem Krieg erhielten wir, die vorher in einer Mietwohnung ohne Gartennutzung gewohnt hatten, auch noch ein Stück Land zugewiesen von der Gemeinde, die für den Eigenbedarf von Nicht-Gartenbesitzern ein Stück Feld am Dorfrand hatte umpflügen und in Parzellen aufteilen lassen. Zwar war meine Mutter keine erfahrene Gärtnerin, aber die Verwandten und Nachbarn halfen – zumindest mit guten Ratschlägen. Und wir Kinder halfen auch!
Gleich anfangs wurde uns eine wichtige Aufgabe zugeteilt, über die wir zuerst die Nase rümpften. Es wurden nämlich ein alter Eimer und eine Kehrschaufel bereitgestellt, mit denen wir loszulaufen hatten, sobald ein Pferdewagen an unserem Haus vorbeigefahren kam. Das geschah oft, denn damals bearbeiteten die Bauern ihre Felder noch vorwiegend mit Pferdekraft, nicht mit Treckern. Außerdem führte die Straße vom Sägewerk zum Bahnhof in der Nachbarstadt an unserem Haus vorbei. Das war für unsere Mission sehr vorteilhaft. Wir mussten nämlich die Pferdeäpfel aufsammeln, die einen recht guten Dünger abgaben, vor allem für die Erdbeeren. Damit lockte uns unsere Mutter. Erdbeeren aßen wir für unser Leben gern. Schließlich waren es die ersten Früchte, die im Frühjahr reiften – und es gab sie nur während dieser Jahreszeit. Zwar kochte Mutter auch welche ein, aber als Kompott schmeckten sie lange nicht so gut. Jedenfalls fiel unsere erste eigene Erdbeerernte recht gut aus. Und von da an hatten wir gegen unsere ‘anrüchige’ Sammeltätigkeit nichts mehr einzuwenden. Vor allem wurde diese Art von Beschäftigung auch bald von anderen Kindern in der Nachbarschaft ausgeübt. Man musste also ganz schön flink sein – und der Wettbewerb motivierte uns zusätzlich.
Überhaupt erwies sich unser Garten bald als wichtiger Nahrungsmittellieferant. Wie gut schmeckten frischer Kopfsalat, Gurkensalat, später Tomatensalat aus selbstgeernteten Produkten. Auch die entsprechenden Gewürzpflanzen (Schnittlauch, Petersilie, Majoran, Bohnenkraut, Zitronenmelisse) waren immer griffbereit. Reifte dann auch noch das junge Gemüse, merkte man kaum, dass sehr selten Fleisch auf den Tisch kam. Radieschen oder Rettich auf dem Brot ließen die fehlende Butter vergessen. Der schwarze Rettich gab, zusammen mit Kandiszucker, einen hervorragenden Hustensaft ab, der viel besser schmeckte als der Zwiebel-Tee, der gekocht wurde, wenn es in der kalten Jahreszeit keine frischen Rettiche mehr gab.
Vor allem ermöglichte uns der Garten, Vorräte für den Winter anzulegen. Kartoffeln und Möhren kamen in eine dunkle Ecke des Kellers, in Kisten, die Möhren mit Sand abgedeckt, damit sie nicht so schnell schrumpelten. Möhren und Bohnen wurden – häufig geschnippelt – auch in Weckgläser eingemacht, damit man im Winter, zusammen mit frisch gewürfelten Kartoffeln, schnell einen Eintopf bereiten konnte. Auch Erbsen bewahrte man so auf. Bohnen wurden aber auch – ähnlich wie kleine Gurken – in Tonkruken süßsauer eingelegt. Von solchen Tontöpfen brauchte man viele, denn vor allem Sauerkraut wurde darin angesetzt. Obendrauf lag auf einem Teller ein großer Stein, mit dem man die Krautmasse beschwerte. Nach und nach wurden dann im Winter diese Vorräte gegessen. Kohlköpfe hielten sich auch recht lange frisch, wenn sie einfach im Dunkeln gelagert wurden – vor allem Rotkohl.
Besonders große und reife Gurken verarbeitete meine Mutter zu Senfgurken. Dazu wurden sie geschält, in Portionsstücke geschnitten, nachdem das Kerngehäuse entfernt war, und mit Senfsamen und anderen Gewürzen ebenfalls in Tonkruken eingelegt. Selbst Kürbis konnte man – gewürfelt, vor allem mit Gewürznelken und süß-sauer angesetzt – lange aufbewahren.
Im Herbst gab der frisch aufgefüllte Keller immer ein sehr verlockendes Bild ab, und wir waren voller Zuversicht, dass wir gut durch den Winter kommen würden. Gläser mit Pflaumen- und Birnenkompott vervollständigten das Bild. Kleine Birnen und Pflaumen, teilweise auch Äpfel – je nach Sorte – wurden mitunter auch getrocknet – im Herd oder in der Sonne, wenn diese die Güte hatte zur rechten Zeit zu scheinen. Dabei halfen wir Kinder besonders gern beim Schneiden und Auffädeln der Apfelringe. Sie kamen uns vor wie hübscher Schmuck.
Die spät reifenden Apfelsorten, die sich länger hielten, wurden sorgfältig Stück für Stück ausgesucht – es durften ja keine Fallflecke oder Faulstellen zu sehen sein – und im Keller auf den dunkelsten Regalen gelagert. Das roch dann immer so gut, wenn man den Keller betrat – verlockend!“