Ein mühsamer und steiniger Weg: Frau K. erzählt vom vergleichsweise frühen Bau ihres Doppelbehelfsheimes nach dem Zweiten Weltkrieg und vom Mangel an fast allem. Die Geschichte wurde aufgeschrieben von Gisela Hackbarth:
„Im Winter 1944/45 hielt ich mich bei meinen Eltern in Weimar auf. Dort gebar ich im Januar ‘45 mein drittes Kind. Im Juni erhielt ich die Gelegenheit, als Begleiterin einer Gruppe Hamburger Kinder, die aus der Kinderlandverschickung von Weimar nach Hamburg zurückgeführt wurde, mit meinen eigenen drei Kindern mitfahren zu dürfen. Nach mehrtägiger Fahrt im Bus und Übernachtung bei Bauern im Stroh wurde ich in Reinbek abgesetzt. Hier war seit unserer Ausbombung in Hamburg unser Zuhause. Das heißt, wir hatten bei Bekannten Unterkunft gefunden. Bauer Höge holte mich mit meinen drei Kindern und dem wenigen Gepäck, das ich mitnehmen konnte, am Reinbeker Bahnhof ab und brachte uns in unser neues Heim: den hinteren Teil einer Baracke, die im vorderen Teil ein Büro beherbergte. Um die Büroarbeit während des Tages nicht zu stören, kletterten wir aus dem Fenster, um die Toiletten im vorderen Teil zu erreichen.
Wir hatten schon Jahre vorher in Reinbek ein Grundstück erworben und setzten nun alles daran, es zu bebauen. Noch im Jahre 1945 wagten wir, mit dem Hausbau anzufangen und erhielten am 1.11.1945 die Baugenehmigung. Es war allerdings äußerst schwierig, Baumaterialien zu erhalten. Durch Kauf, Tausch und gute Beziehungen gelangten wir an das Notwendigste, was uns manchmal auch wieder von der Baustelle geklaut wurde. Auch die Größe des Hauses war durch Anordnungen festgelegt. Da wir unsere ausgebombte Mutter bei uns aufnehmen wollten, durften wir ein Doppelbehelfsheim bauen.
Das Häuschen hatte zweieinhalb Zimmer, eine Küche und ein Bad, insgesamt 65 qm. Das Bad war 4 qm groß, enthielt Waschbecken, Toilette, Badewanne und einen runden, hohen Ofen, um das Badewasser zu erhitzen. Die Küche war recht groß, sollte sie ja für zwei Haushalte sein. Erste Ausstattung: ein ausgedienter Militärschreibtisch als Küchentisch, eine Spüle und eine kleine Brennhexe zum Kochen. Ein Zimmer war Wohn- und Elternschlafzimmer zugleich, im zweiten schliefen die drei Kinder und im halben Zimmer unsere Mutter. Als sie bei uns eintraf, hatten wir nur ein Bettgestell mit einem Strohsack und ein mit Heu gefülltes Kopfkissen für sie. Dazu ein kleines Öfchen zum Heizen. Wir hatten ein paar Möbelstücke in Hamburg retten können. Damit richteten wir uns ein und konnten im Dezember 1946 unser eigenes Heim beziehen. Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Morgen dort erinnern. Es war ein klarer, frostiger Morgen, als ich das Fenster öffnete, und ich war überglücklich, endlich eigene vier Wände zu haben.
Natürlich war das Haus noch sehr feucht und es fehlte uns an Allem. Durch einen Zufall besaß mein Mann noch seine Reitstiefel. Wir konnten diese gegen einen Kachelofen eintauschen. Wir stellten ihn in unser Wohn- und Schlafzimmer und beheizten ihn mit Torf.
Wir hatten eine sehr hilfsbereite Nachbarschaft. Die Kinder bekamen zwei Bakelitbecher geschenkt. Als unser Sohn 1947 eingeschult wurde, brauchte er ein Essgeschirr und einen Löffel für die Schulspeisung. Jemand schenkte ihm ein verbeultes Aluminiumtöpfchen mit Henkel und Löffel zum Dranklemmen – für uns ein sehr wertvolles Geschenk. Übrigens gab es in Reinbek eine ‘Verteilungsstelle’. Ich glaube, sie war in der ‘Linde’. Dort erhielt ich von Zeit zu Zeit Haushaltsgegenstände.
Jeden Fetzen Stoff, den ich bekommen konnte, habe ich zu Kleidung verarbeitet. Damals durften meine Eltern mir aus Weimar noch Pakete schicken. So erhielt ich alte Mäntel, Pferdedecken und Ähnliches und nähte den Kindern daraus warme Hosen und Jacken.
Unser größtes Problem war die Ernährungssituation. Wir haben Beeren und Pilze gesammelt, auch Rüben und Kartoffeln am Feldrand geklaut. Manchmal konnten wir uns Wurstsuppe, ich weiß nicht mehr wo, abholen. Das war dann ein Festtag für uns. Wir kauften uns auch eine Ziege, in der Hoff-nung auf weitere Zicklein. Der Nachbar hielt sie in seinem Keller und ich ging jeden Tag hin, um sie zu melken. Aus irgendeinem Grund, der mir entfallen ist, mussten wir sie aber im Laufe des Winters schlachten. Natürlich durfte niemand etwas merken. Alle Fenster wurden zugehängt und unser Sechsjähriger musste Schmiere stehen.
Einmal erhielten wir einen Bückling geschenkt. Zuerst wurde er ganz gerecht an alle Fünf verteilt, dann wurde aus der Haut noch eine Suppe gekocht. In guter Erinnerung ist mir noch eine Begebenheit: Freunde von Freunden besaßen am Tegernsee eine Bäckerei. Von Zeit zu Zeit schickten sie uns ein Paket mit Brot- und Kuchenresten. Das war dann immer ein Fest für uns. Auf unserem Grundstück haben wir, nachdem wir es von Brennnesseln und Gebüsch befreit hatten, einen Garten angelegt, der uns dann half, den größten Hunger zu stillen. Auch legten wir uns bald Hühner zu.
Allmählich änderte sich alles ein wenig zum Besseren und fünf Jahre später, als schon ein viertes Kind unsere Familie bereicherte, konnten wir unserem Behelfsheim einen Anbau anfügen. Dieses Mal gab es keine Schwierigkeiten. Das nötige Baumaterial konnte man ohne Einschränkung kaufen, Handwerker standen zur Verfügung und Geld, bzw. Kredite waren erschwinglich.
Noch heute lebe ich in unserem mühsam erbauten Heim, fühle mich hier wohl und erinnere mich mit Stolz und Dankbarkeit an das, was wir erreicht haben.“